Bertone, Pininfarina, Giugiaro, Zagato, Vignale oder Scaglietti, nirgendwo auf der Welt verdichtete sich gestalterische Kompetenz für automobile Blechkleider ab den Zwanzigern des vergangenen Jahrhunderts so eindrucksvoll wie im Norden Italiens. Diese Epoche ist nunmehr Geschichte. Nach der Pleite von Bertone 2014 hat Giorgio „Giorgetto“ Giugiaro nun sein Studio Italdesign komplett an den VW-Konzern verkauft. Nur noch Pininfarina hält die Fahne der unabhängigen italienischen Design-Spezialisten hoch.
Eigentlich ist es keine Schande mit 78 Jahren in den Ruhestand zu gehen. Wenn nun der Turiner 47 Jahre nach der Gründung von Italdesign sein eigenes Unternehmen verlässt, endet eine ganze Ära.
In 55 Jahren als Designer hat Giugiaro mehr als 300 Autos gezeichnet. Fiat holte das Jahrhundert-Talent bereits mit 17 Jahren, um sich am Aufbau eines eigenen Design-Zentrums zu beteiligen. 1959 sicherte sich Bertone Giugiaros Begabung. Dort verlieh er unter anderem Autos wie den BMW 3200 CS, den Maserati 5000 GT oder dem Iso Grifo unsterbliche Linien. Der Lamborghini Miura markiert wohl den Höhepunkt seines Schaffens bei Bertone. Doch Giugiaro kaprizierte sich nicht auf teure Luxusmodelle, er adelte auch Autos für Jedermann wie den Fiat 850 Spider oder das Simca 1000 Coupé zu Klassikern.
Nach einem zweijährigen Zwischenspiel bei Ghia gründete Giugiaro am 7. Februar 1967 sein Studio Italdesign. Schon die erste Eigenentwicklung, der Alfasud, geriet zum Volltreffer. 1969 begann die Zusammenarbeit mit Volkswagen. Giugiaro lieferte mit dem Golf, Passat und Scirocco nicht nur stilbildende Autos, die drei Modelle halfen den Wolfsburgern die Stagnation der Käfer-Monokultur und damit die drohende Pleite abzuwenden. Im Jahr 1973 wurde der Audi Pik As von ihm gezeichnet und der Prototyp von Karmann gebaut.
BMW M1, De Lorean DMC-12, Lancia Delta, Lotus Esprit, Saab 9000, Maserati Quattroporte, Alfa Romeo 156, die Liste der erfolgreichen Giugiaro-Kreationen lässt sich über ganze Seiten weiter fortführen. Nicht zu vergessen der Fiat Panda, „die tolle Kiste“ von 1980. 2010 verkaufte Giugiaro 90 Prozent von Italdesign an den VW Konzern. Nicht zuletzt auf Basis der engen Freundschaft mit Ferdinand Piech, der den Italiener nur „Maestro“ nennt.
Dass sich Giugiaro nun von seinem Lebenswerk getrennt hat, ist weniger eine Folge von finanziellen Erwägungen. Vielmehr aus dem selbst empfundenen Rückgang der persönlichen Freiheit bei den kreativen Prozessen. Schon 2013 erklärte er in einem Interview der „Auto-Zeitung“: „Heute geben 50 Marketing-Experten ihren Senf dazu und erzählen dann, sie hätten entschieden wie der neue „xy“ anders aussehen wird.“
Giorgetto Giugiaro verkauft ein solides Unternehmen mit rund 1000 Mitarbeitern an Audi. Andere große italienische Designer verloren dagegen aus wirtschaftlichen Gründen den Anschluss wie Bertone.
Sein Abschied aus der Szene war nur von kurzer Dauer. Noch nicht einmal drei Monate nachdem er seine restlichen Anteile von 9,9 Prozent an dem von ihm gegründeten Unternehmen Italdesign an Audi und damit an den Volkswagen-Konzern verkauft hatte, kehrte Giorgetto Giugiaro dem Ruhestand den Rücken. Im Alter von 77 Jahren wagt er jetzt zusammen mit seinem Sohn Fabrizio mit einem neuen Designstudio noch einmal einen Neuanfang. Er wird weiterhin das tun, was er einigermaßen gut kann: Autos entwerfen.