Vom Hansa über Glas zum BMW
Die Limousine Glas 1700 kennen heute nur noch wenige Menschen, denn bereits 1967 wurde das Unternehmen Glas in Dingolfing an BMW verkauft. Auf keiner Veranstaltung in den letzten Jahren ist mir ein Glas 1700 begegnet. Die Geschichte und die Evolutionen der Gestaltung und Technik von Pietro Frua – Automobildesigner und Karosseriebauer für diese Fahrzeuge sind interessant.
Pininfarinas „Baukasten Design“
Ende der fünfziger Jahre sorgte Pininfarinas „Baukasten Design“, das die Turiner Carrozzeria für BMC geliefert hatte für Furore. Die BMC Oberen hatten einfach jeder Limousine ab der Mittelklasse ihres Firmenkonglomerats eine ähnliche Karosserie spendiert, die sich hauptsächlich in einer markentypischen Frontausführung voneinander unterschied. Ob Austin A 55 Cambridge, Austin A 99, MG Magnette Mark Ill, Riley 4 Sixty-Eight bis hin zum Wolseley 6/99, sie trugen allesamt den von Pininfarina in der selben Fasson gestylten Aufbau auf die Straßen. Auch der spätere Vanden Plas Princess 4 Litre R basierte ebenfalls auf dem BMC Einheitsdesign.
Vom Hansa 1300 zum Glas 1700 und zum BMW 2004 SA
Ähnlich sollte es auch einem Entwurf ergehen, den Pietro Frua einst für eines der Borgward Unternehmen Hansa auf die Räder stellte. Ihm folgten weitere Ausführungen, die deutlich an den Grundentwurf erinnerten, jedoch weitaus weniger miteinander gemein hatten, als die Flotte der erwähnten BMC Limousinen.
Vom Hansa über Glas bis hin zu BMW lässt sich hier der Bogen spannen. Marken, die im Ursprung absolut nichts miteinander gemein haben, werden durch die interessante Geschichte des Hansa 1300 auf ungewöhnliche Weise miteinander verbunden.
Die Wurzeln des Bremer Automobilunternehmens Hansa reichen bis weit in die Zeit vor dem zweiten Weltkrieg. 1924 hatte C.F.W. Borgward seinen Weg als Autobauer begonnen, als er einen dreirädrigen Transportkarren konstruierte. Mit einem 2,2 PS-Motor unten dran und einem Motorradsattel hinten drauf war der „Blitzkarren“ eine heiße Sache. Eigentlich sollte er die „tausend kleinen Dinge“ in Borgwards Kühlerfabrik über den Hof schippern; in Serie produziert, wurde er jedoch sein erstes „Auto“! Da der „lütte Kerl“ so viel wegschaffen konnte, wurde er einfach „Goliath“ genannt.
Nachfolger für den Goliath 1100
Nach dem Krieg lebte der Goliath in Form des ab Mitte 1950 lieferbaren Modells GP 700 – allerdings vierrädrig — wieder auf. Der 700er war ein zwischen dem Lloyd und dem Borgward angesiedelter Kleinwagen mit Zweitaktmotor. 1957 erschien der von einem neu entwickelten Viertakt-Vierzylinder-Boxermotor angetriebene Goliath 1100. Das nächste Jahr brachte abermals eine Modernisierung und eine Umbenennung in Hansa. Hierdurch lebte die im selben Jahr für die großen Borgward Modelle aufgegebene Zusatzbezeichnung wieder auf. Keinesfalls konnte weder der neue Motor noch die Anspruch verheißende Modellbezeichnung über die grundsätzlichen Schwächen der Karosserie hinwegtrösten, der es – durch die nur zweitürig lieferbare Ausführung – vor allem an Türen zu den hinteren Sitzplätzen mangelte.
Auftrag an Pietro Frua
Pietro Frua erhielt daher Order, die Konturen für den Hansa der nächsten Generation mit vier Türen – festzulegen, gleichzeitig sollte er den Prototyp anfertigen.
Dazu löste er sich weitgehend vom Hausentwurf der Goliath Stilisten, den er „nur“ überarbeiten sollte.
Die Borgward Motorenentwickler steuerten ein völlig neues Antriebsaggregat bei, das mit 1,3 Liter Hubraum und rund 90 PS wesentlich größer geriet als das vorhergehende und darüber hinaus mit einer Bosch-Einspritzung aufwartete.
Nur ein üppiger ausfallendes Modell konnte den gestiegenen Erwartungen des Publikums in Zukunft der 60er Jahre genügen. Folglich zählte der neue Hansa auch deutlich über vier Meter Länge und die erforderlichen vier Türen wies er auch auf. Frua hatte sich bei der Ausarbeitung der Limousine auf die Linien des Borgward 2,3 Liter bezogen. Auch an die Hutze auf der Haube hatte er gedacht.
Der Bau des Prototyps erfolgte bei Frua in Turin. Der Hansa 1300 hatte bereits Stylingelemente, die sich auch bei der späteren Glas Limousine wiederfinden.
In der Blechstruktur setzte er auf ebene Flächen und verzichtete vollends auf sphärische Abschlüsse. Nirgendwo wurde das Blech in Ecken tief gezogen. Frua ließ es einfach in Scheinwerfer, Blinkleuchten, Rückstrahler, Kanten und Schweißnähte, die von Leisten verdeckt wurden, auslaufen. Ein „Blechverstand‘“, der Werkzeug- und Produktionskosten sparte.
Das großflächige Kühlermaul zierte ein horizontaler Stab, am Heck erhielt das Auto eine auf dem Kofferraumdeckel, in Höhe der Rückleuchten quer verlaufende Sicke. Jede Linie und Dimension war eindeutig definiert.
Sieht man vom handwerklichen Mangel am Verlauf der Front- und Heckscheibe ab, gelang Frua eine vorbildliche Arbeit. 1960 zogen dunkle Wolken über dem Borgward Konzern auf und es gewitterte heftig. Der Konkurs im Jahr darauf schockierte alle.
Beinahe jeder vierte Bremer Arbeiter stand beim Borgward in Lohn und Brot. Über eine viertel Million Deutsche Mark Entwicklungskosten waren in den „großen Hansa“ geflossen, als das erfolgversprechende Pro- jekt, gemeinsam mit all den guten Wünschen und Hoffnungen für die Borgward Betriebe unter ging.
Ein Notar aus Bremen hatte den mit einem 1,1-Liter-Motor versehenen und komplettierten Wagen aus der Borgward Konkursmasse erworben, am 17. April 1962 zum öffentlichen Straßenverkehr zugelassen und er kreuzte damit annähernd zwei Jahre durch die Lande, bevor er ihn an einen Uhrmacher weitergab. 1984 tauchte der verschollen Geglaubte während der Motor-Show in Essen, auf dem Stand der Borgward Interessengemeinschaft wieder auf.
Ein zweiter von Frua ausgelieferter Wagen hielt dagegen nur wenige Tage. Ihn zerlegten im Juli 1961 Goliath Mitarbeiter in der Schweiz, als er nach Deutschland überführt werden sollte und die Borgward Pleite längst besiegelt war.
Der von Frua geschaffene Hansa 1300 bildet, wie Eingangs schon berichtet, eine kausale Basis zur in Serie produzierten Glas Limousine 1700.
Die Glas Eigner, der Senior Hans Glas und Junior Andreas Glas, weilten nämlich nach dem Zusammenbruch der Borgward Gruppe in Bremen, um dort aus der Konkursmasse, die eine oder andere Maschine für ihre Automanufaktur zu erstehen. Dabei machten sie auch Bekanntschaft mit dem von Frua angelieferten Prototypen. Und genau ein solches Modell hätte auch ihr Unternehmen erfolgreich auf dem Markt lancieren können. Als dann schließlich Pietro Frua für die niederbayerische Automanufaktur tätig war, erhielt der Meister sogleich den Auftrag, für sie ebenfalls solch einen Wagen zu gestalten, der in das gleiche Angebotssegment fiel.
Auftrag für Glas 1500 und Weiterentwicklung
Und so kam es, dass Glas 1963 die Automobil-Szenerie durch einen „kühnen Sprung in die Mittelklasse“ bereicherte. Anlass der Verwunderung war ein für den Kleinwagenspezialisten Glas vollkommen ungewöhnlicher viertüriger 1,5 Liter Wagen. Der neue Glas 1500 war sozusagen aus der Art geschlagen, den Pietro Frua noch dazu in Windeseile fertig- gestellt hatte.
In erwartungsvoller Ungeduld zeigte die expandierende Autoschmiede der verblüfften Presse ihren großen Wurf lange vor der IAA-Premiere, während sie sich ihren Glas GT streng gehütet bis zur IAA aufsparte. So gewöhnte Glas die Öffentlichkeit langsam an den veränderten Umstand, dass aus „Goggo-City“ von nun an „richtige Autos“ kamen und befriedigte gleichzeitig die brennende Neugierde nach deren Meinung über das vollendete Meisterstück.
„Mit der selbstverständlichen Miene von Leuten, denen der Autobau inzwischen zur Routine geworden ist, haben sie eine elegante viertürige Limousine auf die Räder gestellt“, kommentierte damals „Auto Motor und Sport“ wohlwollend das epochale Treiben der aufwärts strebenden Firma. „Beim Glas 1500“, so das Blatt weiter, „verließen sich die Hausstilisten erstmals nicht mehr auf ihr eigenes Formgefühl, sondern betrauten den Italiener Frua mit dem Karosserie-Entwurf. Das Ergebnis ist der schönste Glas, den es je gab: Ein modernes Auto mit niedriger Gürtellinie, großen Fensterflächen und ausgewogenen Proportionen.“
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Der Glas 1500 ist in einem guten Sinne konservativ. An ihm ist kein Firlefanz und nichts Erzwungenes, sondern nur in Harmonie aufgelöste Sachlichkeit und Zweckmäßigkeit. Aus der großflächigen Verglasung wurde elegante Leichtigkeit, aus dem flach nach hinten ausgezogenen Dach die schnelle Linie, aus den gesunden Maßen der Überhänge vertrauenerweckende Solidität.“ 8.300 DM sollte er kosten und im Mai 1964 in Serie gehen. Anders als beim Glas GT lief die komplette Produktion über die in Dingolfing installierte Fertigungsstraße. Sämtliche Blechteile wurden in Eigenregie gezogen.
Umfangreiche Detailarbeit verzögerte den Serienanlauf am Ende bis zum September 1964. Auch geriet Frua der Aufbau größer und damit schwerer als geplant. Ein infolge dessen auf 1,7 Liter Hubraum erweiterter Vierzylinder kompensierte das Mehrgewicht und entsprach dem luxuriösen Charakter des Mittelklässlers weitaus besser. So entstand ausreichend Abstand zum Volkswagen 1500 und eine gewisse Nähe zum BMW 1500, mit dem der geschmackvolle Wagen noch am ehesten von all seinen Konkurrenten vergleichbar war.
Die mit verkleideten Blechflächen und Liegesitzen wertvoll und wohnlich gehaltene Innenausstattung ließ eh vergessen, in welcher Klasse sich die nun als Glas 1700 bezeichnete Limousine eigentlich befand und von dem hervorragend laufenden Motor ganz abgesehen. In diesem Licht betrachtet, nahm sich der mit Auslieferung auf 8.850 DM angehobene Verkaufspreis immer noch recht angemessen aus. Der Opel Rekord L 1700 S kostete damals auch über 8.000 DM, der BMW 1500 war für 9.985 DM in den Listen und ein Mercedes-Benz 190 kostete damals etwa 10.000 DM. Ab September 1965 lieferte Glas seinen 1700 zusätzlich in einer TS Ausführung, die für 9.750 DM zu haben war.
Zwei Schrägstromvergaser brachten die Leistung auf genau 100 PS, womit annähernd 170 km/h drin waren. Das Kürzel TS gemahnte sicher einmal mehr an die 1961 recht unselig verschiedene Isabella, von der Borgward ja auch eine TS Version im Angebot führte. Dieser Umstand war für die große Glas Limousine besonders wertvoll, da sie genau die Angebotslücke füllte, die das Bremer Erfolgsmodell besetzt hatte. Aus diesem Grund mag es durchaus verständlich erscheinen, weshalb damals die immer wieder aufgegriffene Behauptung, dass sie nichts weiter als die ursprünglich von Pietro Frua für Borgward neu konzipierte Isabella sei, von Glas nicht dementiert wurde. Doch sie ist falsch!
Leider hielt sich die Geschichte vom Borgward Glas wacker bis in unsere heutigen Tage.
In der Tat hatten die Glas-Inhaber, wie oben ausgeführt, den Hansa Prototypen gesehen und auch den Entschluss getroffen eine Fertigung einer solchen Limousine selbst aufzuziehen. In diesem Sinne hat der Hansa mit dem Glas 1700 eine geistige Verwandtschaft und auch zusätzlich dadurch eine Verbindung, dass beide Fahrzeuge von Pietro Frua entwickelt wurden. Das ist aber schon alles. Historisch gesehen liegen zwischen dem Hansa und dem Glas schon eine ausreichend große und bemerkenswerte Kausalität, die aber einfach den tatsächlichen Fakten entsprechend geschildert werden sollte. Denn als Frua 1963 die Linien für den Glas zog, war der ebenfalls von ihm geschaffene Hansa Protoyp, von einer Isabella kann sowieso nicht die Rede sein, keinesfalls mehr aktuell von den Stilelementen. Der Hansa war, bei aller Ausgewogenheit, ein Entwurf der fünfziger Jahre. Eine Neuentwicklung hatte für das die 60er Jahre vollkommen anders auszusehen, eben wie der neue Glas.
Weder Falzung noch Einzüge, weder Türschnitte noch Radien, vom Volumen ganz zu schweigen, stimmen zwischen den beiden Frua Limousinen überein. Pietro Frua schuf den Glas im Sinne und in der Dimension des Hansa zweifellos vollkommen neu.
Die Glas Automatik
Ab Modelljahr 1966 war der Glas 1700 für 890 DM Aufpreis auf Wunsch mit einer Getriebeautomatik erhältlich. Wobei die einfallsreichen Glasianer dieses Problem originell gelöst hatten: Das serienmäßige Viergang-Getriebe und die Kupplung bediente „einfach“ ein transistorisierter Schaltgeber hydraulisch. Nur 284 Kunden entschieden sich für diese „Schalterei“ auf „Glas-Art“. Alle Ausführungen zusammengerechnet brachten es die Niederbayern bis Ende 1967 auf rund 13.800 der Limousinen, dann war Schluss aber noch kein Ende.
Südafrika zweite Chance für den Deutsch-Italiener
Mit der Weiterentwicklung des Glas Viertürers zu den BMW Südafrika-Modellen 1800 SA und 2000 SA vollzog sich der zweite Brückenschlag der geanologischen Verwandtschaft des einstigen Hansa.
BMW konnte dem 1700 nach der Übernahme von Glas keinen offenen Platz im eigenen Modellprogramm zuweisen, denn der Wagen lag einfach zu dicht an den hauseigenen Limousinen. Eine weitere Produktion machte daher keinen Sinn. So kam es den Bayerischen Motorenwerken gerade recht, als ihr Südafrika-Importeur anfragte, ob er nicht vor Ort eine Autoproduktion mit einem BMW-Modell aufziehen dürfe und sie ihm somit den Glas anbieten konnten.
Da Pietro Frua für den Wagen einst eine Struktur erdachte, die weder vom „Blechverstand“ noch von den Schweißzügen allzu große Anforderungen an den Maschinenpark stellte, konnte die Produktion mit den aus Dingolfing günstig angeschafften Werkzeugen überaus preiswert eingerichtet werden.
Den zunächst in der Planung einbezogenen Vierzylinder-Motor von Glas, ersetzten bei Serienbeginn aus Deutschland importierte BMW-Triebwerke mit 1,8- und später auch 2-Liter Hubraum, die in ihrer Leistung weitgehend dem Glas in seiner Normalausführung sowie in seiner TS Version entsprachen. Ansonsten unverändert, mit BMW Plaketten vorn, hinten und auf den Radkappen feierte der für den südafrikanischen Linksverkehr auf Rechtslenkung umgebaute Glas zunächst als BMW 1800 GL dann als BMW 1800 SA und 2000 SA 1968 eine neuerliche Geburt.
Karosserie der BMW 1800 SA und 2000 SA
Für 1973 hatte Pietro Frua die Karosserie der BMW 1800 SA und 2000 SA, im Auftrag des auf eigene Rechnung agierenden Südafrikanischen BMW-Produzenten Pretorius überarbreitet. BMW-Niere, eingezogene Vierfachscheinwerfer und die vom Sechszylinder-Coup& übernommenen Blinker rundeten das typische BMW-Gesicht ab, gleichzeitig wurde die Modellbezeichnung in 1804 und 2004 umbenannt. Die mit Serienproduktion eingeführten Zierleisten an der Gürtellinie und modifizierte Heckleuchten machten nun schon beinahe einen BMW 2500 aus der Glas 1700 Karosserie.
Von einer veränderten C-Säule, mit tiefer angesetztem Knie im Dreiecksfenster kam man hingegen,wie auch von einem projektierten Kombi bereits in der Phase der Prototypen ab. Einen Kombi als Prototyp hat es gegeben.
1974 löste die neue BMW 5er Baureihe den Doppeltyp 1804/2004 ab — nachdem das Stammhaus die afrikanische Gesellschaft erworben hatte — und beendete somit das Gastspiel des einstigen Glas.
Was für eine Geschichte
Vom Hansa zur Glas Limousine, durch die Übernahme von Glas durch BMW zum Typ 1800 GL und über ein Re-Design letztendlich zum BMW 04. Dagegen nimmt sich die Geschichte des BMC Limousinen Einheitsdesigns doch weitaus weniger spannend aus.
Quelle: Glas Magazin zum 27. Jahrestreffen 2000 des GLAS Automobilclubs International e.V. Matthias Hermann