Unter den zahllosen deutschen Automarken der Zwischenkriegszeit, die unverdient in Vergessenheit geraten sind, verdient wohl eine die größte Anerkennung – die Sportwagenfirma „Steiger“ aus Burgrieden.
In dem oberschwäbischen Ort im Kreis Biberach entstanden zwischen 1919 und 1926 nur etwas mehr als 1.200 Autos – aber was für welche!
Ist dieser Tourenwagen mit seinem messerscharfen Kühler und den armdicken Auspuffrohren nicht eine Wucht? Dabei ist es kein Mercedes oder Benz, deren Sportversionen heute zu den begehrtesten Vorkriegswagen überhaupt zählen. Nein, das ist ein Steiger – kein anderes Auto besaß diese unverwechselbare Front. Die vom Motorengenie Paul Henze für Steiger konstruierten Wagen besaßen von Anfang an obenliegende Nockenwellen zu Ventilsteuerung, deren Antrieb über Königswellen erfolgte. Damit waren bereits dem kleinsten Steiger-Modell – dem 10/50 PS Typ – die Sportwagengene in die Wiege gelegt. Sein großer Bruder, der 2,8 Liter messende 11/55 PS Typ, war für eine Spitzengeschwindigkeit von über 125 km/h gut.
Beginnen wir mit einem Originalfoto eines Steiger:
Die Sportversionen zeichneten sich zusätzlich durch einen kurzen Radstand aus, der eine dynamische Fahrweise unterstützte:
In solchen Sphären bewegte sich 1920 kaum ein anderes deutsches Serienauto. Nebenbei: Die Steiger-Modelle verfügten von Anfang an über 12-Volt-Elektrik, optionale Doppelzündung und ab 1920 über Vierradbremsen. Zu großer Form lief dann Steigers 3-Liter-Spitzenmodell mit 70 PS und 140 km/h Höchstgeschwindigkeit auf, das die Grundlage für zahllose Sporterfolge war.
Neben der Vielzahl an zeitgenössischen Prospekten, Reklamen und Fotos – alles ausgezeichnet reproduziert – hat den Verfasser dieses Berichts eines besonders berührt: Michael Schick geht auch ausführlich auf die Belegschaft der Firma ein, gibt Anekdoten ehemaliger Mitarbeiter wieder und listet auf 12 Seiten alle bekannten einstigen Steiger-Beschäftigten und -Beteiligten mit ihrer einstigen Funktion auf, soweit bekannt – vom Hilfsarbeiter bis zum Aufsichtsrat. Spätestens hier wird deutlich: Mit diesem Buch wurde einer großartigen kleinen deutschen Automarke ein würdiges Denkmal geschaffen.
Doch das Auto-Buch beschränkt sich nicht auf die vorbildliche Chronologie eines untergegangenen Herstellers. Großen Raum ein nehmen auch das Weiterleben von Steiger-Wagen bis heute und die persönlichen Kontakte zu ehemaligen Mitarbeitern, die Michael Schick noch rechtzeitig nutzen konnte. Wer die längst vergriffene 1. Auflage besitzt, wird die Neuauflage ebenfalls mit Gewinn lesen, denn allein 12 Seiten entfallen auf neu aufgetauchte Fotos, darunter eines des Verfassers dieses Beitrags.
Alles in allem ist das ein Autobuch, das restlos begeistert und keine Wünsche offenlässt außer einem: Gäbe es doch ein Werk von vergleichbarem Kaliber auch für andere deutsche Vorkriegsmarken wie NAG, Presto, Protos oder Simson … Vielleicht inspiriert das Steiger-Buch von Michael Schick andere Markenexperten dazu, sich ebenfalls ans Werk zu machen. Zu füllende Lücken gibt es wahrhaft genug.
Hier war ein Getriebener am Werk, jemand der mit Leidenschaft für die Marke aus seinem Heimatort brennt. Was Michael Schick auf über 390 Seiten mit weit mehr als 600 Abbildungen zu Steiger zusammengetragen hat, sucht seinesgleichen. Von der Familiengeschichte der Steigers über die Ursprünge des Betriebs in Burgrieden, dessen Einbeziehung zur Wartung von Kampfflugzeugen im 1. Weltkrieg bis hin zum Auto-Prototyp von 1917 wird ausführlich der Ursprung der Marke erzählt. Dann geht es weiter mit einer unglaublichen Fülle an Informationen und originalen Dokumenten zu den Serienwagen von Steiger aus den 1920er Jahren, deren Karosserien und Käufern, den minutiös aufgelisteten Sporteinsätzen und Erfolgen.
Doch das – und die ganze spannende Geschichte der Steiger-Autos – liest man am besten in der Neuauflage von Michael Schicks begeisterndem Buch nach.
Gastbeitrag: Michael Schlenger