Kein Unfall, keine Panne, keine Verletzung, und doch schnürte mir die Angst die Kehle zu. Es war eine von jenen Situationen, die man nie vergisst, zumal sie in so manchem Albtraum wiederkehren.
Ich weiß nur eines nicht mehr genau, ich weiß nicht mehr, wo es geschah. War es in Kolumbien, in Guatemala, in Nicaragua, in Ecuador, in Peru? Da verwischt sich die Erinnerung, zumal diese Länder vieles gemeinsam haben, vor allem das Unbekannte, oft beängstigend Fremdartige, ja Unverständliche. Und auch, weil es nun gut dreißig Jahre her ist, dass ich den neuen Meilen-Pirelli und den neuen Golf testete auf einer Strecke, die gut 32.000 Kilometer lang ist und sich von einem Ende der Welt bis zum anderen erstreckt, von Alaska bis Feuerland.
Ich fuhr nicht allein, dem Himmel sei Dank. Denn da passiert so Einiges. Das Volkswagen-Werk hatte einen Begleit-Golf mitgeschickt und einen Transporter voller Ersatzteile. Der neu herausgekommene Golf war von oben bis unten in all diesen Ländern bei allen VW-Niederlassungen noch unbekannt. Da hätte ich nicht mal einen neuen Kühler bekommen. Und Alfonso fuhr mit, der Chilene aus Santiago. Ohne ihn hätten wir uns ab der mexikanischen Grenze nicht verständigen können. Nur er sprach Spanisch. Und gerade er war in diesem entscheidenden Moment nicht in meiner Nähe.
Wir bretterten also durch diese unbekannte Gegend, die sich dadurch auszeichnete, dass es keine Wegweiser gab, dafür aber die aufregendsten Wahlmöglichkeiten. Die Straße gabelt sich plötzlich, und jeder Zinken weist in eine andere Richtung. Eine Landkarte ist da völlig nutzlos. Manchmal zeigte sie einen See rechts vom Wege, der aber links vom Wege lag. Was denn nun?
Links oder rechts oder doch geradeaus, obwohl geradeaus so ausschaut wie das Ende der Stange.
Außerdem erzeugten wir gewaltige Staubwolken und verloren uns deshalb immer wieder aus den Augen. Wir hatten Sprechfunkgeräte dabei, gewiss, aber wer nimmt das Ding schon gerne in die Hand, wenn er gerade beide Hände braucht, um das Fahrzeug auf einer teuflischen Piste zu halten. So war es, und ich wählte halblinks. Das war falsch.
Nach einigen Kilometern hörte die Piste auf, und ich stand inmitten einer Mondlandschaft. Nicht mal mehr ein Schlagloch, nichts. Sprechfunk her. Wo seid ihr? Etwas mehr als nichts: Ein Krächzen und Rauschen.
Wo ist eine Anhöhe? Ich muss höher hinauf, um Verbindung zu kriegen. Da stehe ich dann. Und niemand antwortet. Aber es kommen Menschen. Wo kommen die her? Gestalten, ärmlicher ausschauend als alle, die wir bisher sahen.
Sie umringen mein Auto im Abstand von immerhin etwa zehn Metern. Er Ring wird zusehends dichter. Und alle blicken finster. Versuche meinerseits mit „Hallo“ und so und Winken und Grinsen, verpuffen ohne Widerhall. Im Gegenteil, die Mienen werden finsterer. Einer ruft etwas und droht dabei mit der Faust. Es klingt wie das Bellen eines Hundes.
Mir wird bewusst, dass ich eine leckere Beute bin mit meinem Auto voller Aluminiumkoffer, Decken und Kanister.
Dieser und jener ist mit der üblichen Machete bewaffnet. Das will im Grunde nichts heißen – ein solches Ding tragen hier alle. Aber ich bin schließlich der Einzige, der keine hat.
Ich muss raus, denn im Wagen kriege ich schon gar keine Funkverbindung. So vor Angst schlotternd habe ich noch nie ein Auto verlassen. Nur nichts anmerken lassen. Zum einen harmlos erscheinen, zum anderen nicht ganz ungefährlich. Wie deuten sie das Ding in meiner Hand, das sie noch nie gesehen haben?
Und ich wage es, halte das Brikett große Gerät vor meinen Mund und beginne zu sprechen, lauter als nötig. Nun geht durch die ganze Umzingelung ein anschwellendes Raunen und Murmeln.
Was macht der Kerl da? Ein Außerirdischer? Ein Spion? Mein Gerät krächzt zurück, unverständlich nicht nur für meine Bedroher, unverständlich auch für mich. Sie mögen es für Stimmen aus dem Weltraum halten. Krächz, krrr, blubb, wimmer! Wo seid ihr denn? Meldet euch doch! Ich bin nach links abgebogen, und ihr?
Stumpfe Gesichter, geballte Fäuste, hier und da auch eine ängstliche Miene. Dann endlich kommt jedes dritte, vierte Wort bei mir an. Nun klingt das noch mysteriöser. So spricht doch kein menschliches Wesen. Sie sind geradeaus gefahren und stehen, oh Wunder, etwa zwanzig Kilometer weiter an einer Tankstelle. An einer Tankstelle? Gewiss nur ein Fass mit Pumpe oder so, aber immerhin.
Ich muss dorthin. Also rein in den Golf und Aggression: Ich hupe wie verrückt, lasse den Motor aufheulen. Sie weichen zurück, der Kreis wird weiter. Eine Kreisbahn bietet sich an wie auf dem Testgelände. Ich drehe zwei Runden, dass es nur so staubt. Und durch die erste halbwegs wahrnehmbare Lücke breche ich aus. Natürlich in der falschen Richtung. Wo ist das bisschen Weg, auf dem ich zurück muss zu der verflixten Gabelung. Ein letzter Schreck, sie werfen mit Steinen. Augen zu und durch. Nie war diese Parole wertvoller als in diesem Augenblick. Da geht’s lang. Ich bin gerettet.
Und jetzt brüllen sie mir nach. Jetzt erst haben sie ihre Sprache wieder gefunden. Sie werden mir doch nicht eine gute Reise wünschen?
So war das damals vor nunmehr gut dreißig Jahren inmitten der dreissigtausend Kilometer, auf denen ich heraus fand, dass der Meilen-Pirelli hält und dass der neue Golf ein großer Wurf werden wird und dass die Traumstraße der Welt eine Albtraumstraße ist. Die berühmte Panamerikana zeigte sich nur bruchstückhaft. Mag sein, dass sie sich inzwischen gemausert hat.
War es in Kolumbien? Da traut sich meines Wissens heute erst recht keiner mehr hin. Ich schon gar nicht.
Fritz B. Busch hat in seinem Leben das Jahrhundert der Motorisierung nicht nur miterlebt und auf seine Weise kommentiert, sondern auch mit dokumentiert und damit der Nachwelt erhalten.
Die Geschichte finden Sie in dem Buch „Der große Test“. Die Alaska – Feuerland Fahrt fand statt von 2. Oktober 1974 – 14. Januar 1975. Der Original Golf steht momentan in einer Ausstellung in der Autostadt in Wolfsburg – zusammen mit seinem Genossen, dem Begleitfahrzeug. Im Oktober kommt er dann wieder in unser Museum zurück.