Bugatti-Frühjahrstreffen im Münsterland – Im Mittelpunkt der Typ 57
Ein Gastbeitrag von Achim Gandras, O-Y-App.com
Bugatti-Club-Deutschland
Der Bugatti-Club-Deutschland ist der älteste Markenclub im Lande. Die Enthusiasten rund um die technischen Meisterwerke aus dem elsässischen Molsheim pflegen ihre Passion gemeinsam seit 1956. Zu den Aktivitäten des Clubs gehört das alljährliche Frühlingstreffen im Mai, das an stets wechselnden Orten jeweils für vier Tage organisiert wird. Dabei werden diese Termine allerdings nicht an die große Glocke gehängt – wen wundert es, stehen doch schnell einmal 100 Millionen Euro auf der Wiese, was jedem Versicherer die Knie schlottern lässt…
Diesmal hat man sich rund um den 1. Mai am Wasserschloss Velen der Herren von Landsberg im Münsterland getroffen, und der Schwerpunkt lag auf dem besonderen Modell Type 57. Für Bugatti-Kenner sicherlich keine unbedingten Neuigkeiten, aber es lohnt sich doch, mal etwas tiefer in die Materie einzusteigen.
Die Familie Bugatti
Ettore Bugatti entstammte einer italienischen Künstlerfamilie. Eigentlich Ettore Arco Isidoro, geboren am 15. September 1881 in Mailand. Vater Carlo ein berühmter Möbel-Designer, Bruder Rembrandt ein höchst talentierter Bildhauer, der sich allerdings früh das Leben nahm.
Ettore beginnt 1897 eine Lehre in der Mailänder Fahrradfabrik Prinetti&Stucchi und baut dort bereits ein Jahr später das erste Automobil, ein Dreirad mit zwei De-Dion-Motoren! 1900 baut er mithilfe des Grafen Gulinelli das erste Auto in Eigenregie, mit dem er 1901 auf der Int. Automobilausstellung in Mailand die Goldmedaille gewinnt. 1904 zieht die Familie nach Paris, da ist Ettore jedoch längst nicht mehr zu Hause. 1905 beginnt seine Zusammenarbeit mit Émile Mathis aus Strasbourg, 1907 heiratet Ettore Bugatti und zieht mit seiner jungen Familie nach Köln-Deutz, wo er ab September 1907 eine Anstellung bei der Gasmotorenfabrik erhält. Vorzeitig beendet er das Verhältnis und geht 1909 nach Molsheim, wo 1910 das erste Automobil in eigener Werkstatt, der Typ 13 entsteht. 1921 erringt Bugatti den ersten großen Sieg beim Gran Premio di Vetturette in Brescia. 1924 dann der ganz große Wurf mit dem Typ 35, einem Rennwagen mit Reihen-Achtzylinder, der mit über 2000 Rennsiegen bis heute wohl der erfolgreichste Sportwagen aller Zeiten ist. Allein von Januar bis September 1926 fuhr der Typ 35 sagenhafte 501 Siege bei unterschiedlichsten Rennen ein.
Ettore Bugatti pflegte einen luxuriösen Lebensstil, trug stets Melone, wohnte auf Schlössern und züchtete reinrassige Rennpferde. Außerdem wollte er seine Modellpalette auch wörtlich krönen und entwickelte den Typ 41 Royale, ein Sechsmeter-Schiff mit 12,7 Liter Reihen-Achtzylinder, der jedoch nur sechs oder siebenmal gebaut wurde. Drei konnte er verkaufen, aber der einzige wirklich royale Kunde, der ihn haben wollte, bekam ihn nicht. Ettore Bugatti hatte sich so sehr über die „grauenhaften Tischmanieren“ des Königs von Albanien geärgert, dass er ihm keinen „Royale“ verkaufte!
Die Wirtschaftskrise ab 1929 brachte die Firma in arge Bedrängnis. Bugatti gelang es ab 1933, die bereits gefertigten Royale-Motoren in Triebwagen der Eisenbahn einzubauen. Das rettete die Firma, der Patron jedoch zog sich enttäuscht auf sein Schloss Ermenoville bei Paris zurück und übergab das Geschäft an seinen Sohn Jean, eigentlich Gianoberto Carlo Rembrandt Bugatti, geboren am 15. Januar 1909 in Köln.
Jean hatte ein außergewöhnliches schöpferisches Talent. Die pragmatische Technik des Vaters entwickelte er weiter und schuf zudem den Entwurf seines Lebens, den Typ 57. Vater Ettore regte sich über die Formen auf, „ein Auto wie amerikanischer Buick sei das“, ist sein Schnauben überliefert. Allerdings muss man auch sagen, dass gerade Buick zu Beginn der 30er Jahre außergewöhnlich fortschrittliche Modelle fertigte… Und ja, es gibt auch technische Details, die ähneln, wie zum Beispiel die über Bi-Metall gesteuerten Lamellen des Kühlergrills, ein Vorläufer des Thermosyphons, der die Kühlwassertemperatur reguliert.
Geschichte nicht auf Wikipedia zu finden
Aber auch unter dem atemberaubenden Blech war es eine äußerst delikate Konstruktion. Und hier nun eine Geschichte, die mal nicht so eben auf Wikipedia zu finden ist:
Nörgeln über den amerikanischen Buick hin oder her – es war ein ebenfalls amerikanisches Auto, das für Bugatti größte Bedeutung haben sollte. Der Rennfahrer Leon Duray, eigentlich George Stewart, geboren 1894 in Cleveland/Ohio, gestorben 1956 in San Bernardino, California, hatte mit einem Miller Typ 91 Rennwagen 1928 in Indianapolis einen fabulösen Weltrekord aufgestellt. Sein Durchschnitt von 238,25 Stundenkilometern sollte für 26 Jahre Bestand haben! 1929 kam Duray mit gleich zwei Miller Typ 91 nach Europa und fuhr den Franzosen in zahlreichen Triumphfahrten um die Ohren… Ettore Bugatti, den Mega-Flop „Royale“ im Nacken, dazu ein Typ 35, der langsam in die Jahre gekommen war, sah genau jene Maschine an sich vorbei donnern, die er dringend benötigte…
Leon Duray indes ließ ordentlich die Puppen tanzen und hatte bald schon im sinnenfrohen Paris seine Siegesprämien und Barschaften durchgebracht. „Le diable noir“, der Schwarze Teufel, wie ihn die Franzosen wegen seiner schwarzen Rennwagen nannten, war pleite. In Monza nahm Bugatti Kontakt auf. Duray tauschte glücklich die beiden Miller 91 gegen drei Bugatti plus Bar-Aufschlag, um schuldenfrei die Rückreise in die USA antreten zu können. In Molsheim schraubte man derweil die schwarzen Rennwagen auseinander. Das Geheimnis des Miller 91 war neben dem Frontantrieb sein Reihenmotor mit doppelt obenliegenden Nockenwellen.
So entstand der Bugatti Typ 51 mit 3,3 Liter Reihenachtzylinder, DOHC, versteht sich. Die Molsheimer spielten wieder mit in der Ersten Liga. Übrigens sollte auch der Frontantrieb Ettore Bugatti nicht loslassen. Mit dem Typ 53 entwickelte er 1932 einen Rennwagen mit Allradantrieb, der jedoch „ein Monster“ war, wie Louis Chiron, der berühmte Bugatti-Werksfahrer, später bekannte. Die Kräfte am Lenkrad waren so hoch, dass man den 300 PS-Wagen nur mit nassen Lederhandschuhen fahren konnte, weil er sich angeblich verhielt wie ein tollwütiger LKW. Aber merkwürdig: Der Typ 53 wurde höchst erfolgreich bei Bergrennen eingesetzt. Vermutlich war er nur nicht geeignet für die üblichen Grand-Prix-Strecken.
Zurück zum Bugatti Typ 57
Jean Bugatti ging noch einen Schritt weiter. Diesmal lag der Fokus wohl beim Automobil- und Motorradsalon 1934 auf dem Stand von Mercedes Benz. Dort präsentierten die Schwaben ihre Hommage an den gigantischen Straßenbau des neuen III.Reiches mit dem atemberaubenden Typ 500 K „Autobahnkurier“ in Pseudo-Aerodynamik, die allerdings für Furore sorgte.
Jean Bugatti zeichnete eine Karosserie mit extrem flacher Frontscheibe und neu war, dass es dieses Modell ab Werk in verschiedenen Varianten gab: Das Cabriolet wurde bei Gangloff in Colmar eingekleidet und hieß „Stelvio“, italienisch nach dem Hochalpen-Pass Stilfserjoch, der Viertürer hieß „Galibier“ nach dem Pass in den französischen Alpen und der viersitzige Zweitürer, das erfolgreichste Modell der Serie, hieß „Ventoux“ nach dem französischen Berg, dem Ventosius, dem Windumbrausten.
Das Coupé schließlich war der „Atalante“, nach der schnellsten Läuferin in der klassischen griechischen Sage, noch gekrönt durch das Modell S und SC mit Kompressor, in der genieteten Elektron-Karosserie, als Atlantic. Vier hat es gegeben, zwei sind erhalten, die wohl kostspieligsten Autos der Sammlerwelt. Genietet wurde übrigens, weil man sich nicht traute, das Leichtmetall aus dem Flugzeugbau zu schweißen, weil der Magnesium-Anteil das Material entflammbar machte. Das bereits ab 1100 Grad Celsius, und wenn es brennt, dann ist es mit Wasser nicht mehr zu löschen.
Ach ja, selbstverständlich konnte man auch in traditioneller Manier das motorisierte Fahrgestell erwerben, um es von einem Karossier individuell einkleiden zu lassen.
Der Typ 57 wurde zum Rückgrat des Unternehmens. Ab Oktober 1933 bis zum Kriegsbeginn sollten knapp 550 Exemplare entstehen, dazu 96 Stück vom Typ 57 C mit Kompressor.
Für Jean Bugatti sollte der Wagen in letzter Konsequenz zum Schicksal werden. Am 11. August startete er abends gegen 22 Uhr zu einer letzten Testfahrt mit dem Stromlinien-Rennwagen 57C, weil man zwei Tage später beim Rennen von La Baule antreten wollte. Auf der langen Geraden der Elsässer Route Nationale zwischen Duttlenheim und Enzheim, wo der Wagen bis zu 235 km/h erreichte, kreuzte ein Radfahrer die Strecke, als Jean Bugatti mit Vollgas herankam. Er verriss den Wagen und prallte gegen zwei Bäume am Straßenrand. Er wurde herausgeschleudert und riss dabei mit bloßen Händen das Lenkrad ab. Er war sofort tot.
Nur drei Wochen später brach der Zweite Weltkrieg aus. Die deutschen Besatzer kungelten dem gebrochenen Ettore Bugatti für ein erzwungenes Handgeld das Werk ab. Fortan entwickelte der Erfinder Hans Trippel dort Schwimmwagen für die Wehrmacht der Nazis. Ettore Bugatti konnte auch nach dem Krieg das Werk nicht mehr zurück bekommen. Er starb 1947. Die Nachfahren führten es schließlich noch bis 1956, jedoch nur noch mit minimalen Erfolgen. Heute feiert der VW-Konzern mit der namentlich wiederauferstanden Marke Prestige-Erfolge. Die wahre Seele jedoch, le pur sang de la marque, starb mit Ettore und Jean Bugatti.
Ergänzung: Stilistisch vermutlich das Initial für Jean Bugatti auf dem Automobil- und Motorradsalon in Paris 1934: Der Mercedes-Benz 500 K „Autobahnkurier“, hier im Bild das Nachfolgemodell 540 K von 1936 auf der Retro Classics in Stuttgart 2015:
Mit dem Link geht es zu weiteren Beiträgen über Fahrzeuge und Geschichten der Marke Bugatti.