Classic Days Schloss Dyck – das deutsche Goodwood?

Die Classic Days auf Schloss Dyck haben sich längst als Spitzenveranstaltung der deutschen Oldtimerszene etabliert. Auch anspruchsvolle Teilnehmer und Besucher aus dem Ausland haben das Treffen rund um das ehrwürdige Wasserschloss am Niederrhein fest in ihrem Kalender notiert.

Park Schloss Dyck
Park Schloss Dyck mit Vorkriegsfahrzeug (Veteran)

Vergleich von drei Veranstaltungen

Im allgemeinen Beifall zu dieser hochkarätigen Veranstaltung wird immer wieder der Vergleich mit dem englischen Goodwood gezogen. Das ist als Lob gemeint – ist aber weder nötig noch angemessen. Denn Schloss Dyck und Goodwood spielen jeweils in einer ganz eigenen Liga und haben bei Licht betrachtet nicht viel gemeinsam.


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Die Unterschiede beginnen damit, dass Goodwood nicht nur für eine, sondern für zwei Veranstaltungen steht: Goodwood Festival of Speed und Goodwood Revival Meeting.

Nur das Festival of Speed findet auf dem Gelände des Schlosses (Goodwood House) selbst statt, wie auch die Classic Days Schloss Dyck. Anders als auf Schloss Dyck geht es beim Festival of Speed keineswegs nur um historische Fahrzeuge. Vielmehr wird hier die Lust am sportlichen Automobil überhaupt gefeiert. Dazu gehören auch moderne Rennsportwagen und überhaupt alles, was möglichst laut und wild daherkommt. Gediegener Stil und historische Authentizität rücken hier gegenüber einer Motorspaßveranstaltung mit ausgeprägtem Volksfestcharakter in den Hintergrund.


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Da geht es auf Schloss Dyck weit beschaulicher zu. Das gilt auch für die Fahrzeugvorführungen, für die beim Festival of Speed zwar ebenfalls nur eine kurze Strecke zur Verfügung steht – die wird jedoch dazu genutzt, es richtig krachen zu lassen. Das trauen sich auf Schloss Dyck allenfalls die traditionell aus England anreisenden Bentley Boys, denen es immer wieder gelingt, etwas Rennatmosphäre auf die Strecke zu zaubern. Ansonsten steht Schloss Dyck für diszipliniertes Fahren und genüssliches Vorführen. Das hat auch etwas für sich, denn für viele deutsche Zuschauer ist der Anblick legendärer historischer Sportwagen in Aktion an sich schon sensationell.

Als Klassikerfahrer muss man sich das immer wieder ins Bewusstsein rufen: Für die meisten Leute hierzulande sind speziell die Wagen der Vorkriegszeit eine Erscheinung wie aus einer anderen Welt. Sie in Bewegung zu sehen, zu hören und zu riechen, ist schon ein außergewöhnliches Erlebnis in unserem sonst vielleicht etwas einseitig der Moderne huldigenden Land. Bei den Briten sind klassische Fahrzeuge wie überhaupt die Zeugen der Vergangenheit dagegen weit selbstverständlicher Bestandteil des Alltags.

Goodwood Revival Meeting vs. Classic Days Schloss Dyck

Werfen wir nun einen Blick auf das Goodwood Revival Meeting im Vergleich zu den Classic Days Schloss Dyck.

Hier sind die Unterschiede sogar noch weit größer als im Fall des Festival of Speed. Sie betreffen praktisch alle Facetten der Veranstaltung. Das Goodwood Revival findet außerhalb des Schlossparks auf dem Gelände des einstigen Weltkriegs-Flugplatzes Westhampnett statt, dessen Ringstraße später zu einer echten Rennstrecke ausgebaut wurde. Auf beiden Anlagen, Flugplatz und Rundkurs, ist in den 1940er bis 1960er Jahren Geschichte geschrieben worden. Genau auf diese Ära ist das Revival mit einer Detailversessenheit ausgerichtet, die den deutschen Besucher sprachlos macht.

Drei Tage lang folgt hier von frühmorgens bis in die Nacht ein Rennen auf das andere mit Sportwagen und Motorrädern aus der „Goldenen Ära des Motorsports“, für die Goodwood Revival steht. Und das heißt: echter Renneinsatz, kein bloßes Schaulaufen. Selbst Preziosen wie Bugatti 35 oder Jaguar D-Type werden hier nicht geschont und in den GT-Rennserien kämpfen die Fahrer verbissen um jeden Meter. Das geht nicht ohne Rempler, Dreher oder Motorschäden aus, aber die Strecke entspricht aktuellen Sicherheitsstandards und die Fahrer sind durchweg Könner mit viel Erfahrung, Schäden werden oft sofort repariert. Die Zuschauer können die Rennen auf der gesamten Strecke hervorragend einsehen und sind so nah am Geschehen wie überhaupt nur möglich.

Einzigartiges Zeitreise-Gefühl

Damit wären wir beim Publikum, das mindestens die Hälfte der Faszination des Goodwood Revival Meeting ausmacht. Von den rund 150.000 Besuchern kommen geschätzt über 90 % in zeitgenössischer Kleidung, entweder alten Originalen der 30er bis 60er Jahre oder in Reproduktionen. Ein formaler Dresscode besteht nicht, aber wer in moderner Freizeitkleidung erscheint, wird sich inmitten all der Träger von Tweed-Jacketts und Hüten, Uniformen und Mechniker-Overalls, Kostümen, Kleidern und Petticoats ziemlich deplatziert fühlen. Ganze Familien kommen über drei Generationen stilgerecht gekleidet, bei Bedarf mit zeitgenössischem Kinderwagen. Der Anteil weiblicher und junger Besucher ist auffallend hoch, auch hier ein ganz anderes Bild als bei hiesigen Veranstaltungen. Wer die Engländerinnen kennt, wird auch nicht erstaunt sein, dass diese selbst bei Nieselregen kurzärmelig und gut gelaunt auf einer Picknickdecke sitzen, während ein ganzes Feld an Rennfahrzeugen mit ohrenbetäubendem Lärm vorbei jagt.

https://youtu.be/ITAQFFdLkUs
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So spannend die energischen Kämpfe auf der Strecke auch sind, beim Goodwood Revival ist dank des Publikums auch das ziellose Umherschlendern, das Bad in der Menge und das genüssliche Beobachten unbedingt Teil des Vergnügens. Stellenweise kommt man sich vor wie im Film und es gibt wohl keine Veranstaltung, bei der der bloße Anblick der Besucher so reizvoll ist. Diesbezüglich kann keine einziges Klassikertreffen auf dem Kontinent auch nur annähernd mithalten, selbst wenn es auf Schloss Dyck zaghafte Ansätze im Hinblick auf ein der Würde der Fahrzeuge angemessenes Erscheinungsbild der Besucher gibt.

Präsenz der militärischen Historie

Hierzulande undenkbar wäre auch die selbstverständliche Präsenz von Uniformierten, seien es als RAF-Piloten, US GIs oder Mitglieder der Women‘s Land Army gekleidete Teilnehmer. Das passt zur Geschichte des Orts, denn der Flugplatz spielte eine wichtige Rolle während der Luftschlacht um England 1940 und bei der Invasion 1944. Überall stehen daher nicht nur klassische Sportwagen und Limousinen herum, sondern auch Jeeps, Militär-LKW und Meldekräder. Am Flugfeld gibt es ein ganzes Areal, das nur der Geschichte während des 2. Weltkriegs gewidmet ist. Hier begegnet man knurrigen Feldwebeln, blutjungen Rekruten, schneidigen Spitfire-Piloten und hübschen Rotkreuz-Helferinnen in perfekter Aufmachung. Angrenzend gibt es eine Ausstellung historischer Militär- und Zivilflugzeuge, die zusammen mit historisch passend gekleideten Besuchern ein perfektes Fotomotiv abgeben.

Das militärische Element und das Thema Fliegerei sind hier keineswegs nur ein Nebenaspekt, sondern regelmäßig ein gleichrangiger Bestandteil des Goodwood Revivals. Auch diesbezüglich könnte der Unterschied zu Schloss Dyck nicht größer sein. Dort gibt es ja keinen vergleichbaren Anknüpfungspunkt und keine entsprechende Tradition. Der Überflug einer Ju-52 und einiger Doppeldecker genügt nicht, um einen entsprechenden Eindruck zu hinterlassen, und auf Schloss Dyck sollte man getrost auf solche Anleihen verzichten. Was das Goodwood Revival diesbezüglich bietet, ist bei uns ohnehin nicht ansatzweise vorstellbar: In regelmäßigen Abständen werden Jagdflugzeuge und Bomber in Aktion vorgestellt und 2014 gab es sogar einen Vorbeiflug der letzten intakten viermotorigen Bomber des Typs Lancaster. Die Engländer führen diesen Teil ihrer jüngeren Geschichte mit verständlichem Stolz vor, würdigen aber auch den einstigen Gegner mit großer Fairness.

Fazit des Vergleichs

Auch nach mehreren Besuchen des Goodwood Revival bleibt nur das Fazit „unvergleichlich“, so etwas gibt es andernorts einfach nicht.

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Die Classic Days Schloss Dyck haben dagegen ihren eigenen Charakter und einen Charme, der auf keine schiefen Vergleiche angewiesen ist. Die ehrwürdige Schlossanlage inmitten des herrlichen Landschaftsparks, die prachtvolle Darbietung edelster Karossen auf dem Concours-Areal und die sinnliche Präsenz rassiger Sportwagen im Schlosshof macht Schloss Dyck unverwechselbar. Die Chancen stehen gut, dass es den Machern von Schloss Dyck, den Teilnehmern und Besuchern gelingt, mit den Classic Days eine ganz eigene Tradition zu begründen.

Text: Michael Schlenger