Eine negative Erfahrung mit positiven Folgen
Wahrscheinlich wäre der Wagen für immer in Neuseeland geblieben, wenn es da nicht eine Geschichte gegeben hätte, die wohl für immer als „traurige Erfahrung“ in Erinnerung bleiben wird.
Insgesamt wurden in der Ladenburger Automobilfabrik etwa 300 Fahrzeuge unter dem Markenzeichen Benz Söhne hergestellt. Dabei beschränkte man sich ausschließlich auf die Produktion der kompletten Fahrgestelle. Die Herstellung der Karosserien überließ man Spezial-Firmen, die sich in dieser Zeit aus Betrieben entwickelten, die vor dem Automobilzeitalter Pferdekutschen hergestellt hatten.
Die Fa. Drauds in Heilbronn und die Fa. Stadler & Jest in Ludwigshafen waren Hauptlieferanten der Karosserien für Benz Söhne Fahrzeuge. Dabei wurden häufig spezielle Kundenwünsche berücksichtigt. Auch in das Ausland wurden nur Fahrgestelle geliefert, die dann vor Ort nach Kundenwunsch karossiert wurden.
Nachdem im Jahr 1923 das letzte Fahrzeug in Ladenburg an einen Kunden verkauft werden konnte, wurden im Jahr 1924 noch einmal zwei Fahrzeuge für den Eigenbedarf hergestellt. Einer der beiden Wagen hat die Jahrzehnte weitgehend im Originalzustand überlebt.
Als Firmenwagen der Fa. C. Benz Söhne war er noch immer im Familienbesitz. Den anderen Wagen hatte man in den Kriegsjahren zum „Behelfslieferwagen“ umgerüstet. Das Fahrgestell und einige weitere Teile lagen lange vergessen in einem Holzschuppen der abgerissen werden sollte.
Der Benz’sche Familienrat beschloss, dass ich die Reste des Wagens bekomme. So konnte der zweite Wagen nach der Vorlage des ersten Wagens originalgetreu restauriert werden. Mehrere Jahre lang standen die beiden letzten Exemplare der Ladenburger Benz Fabrik nebeneinander im Automuseum Dr. Carl Benz. Das war noch in einer Neubauhalle. Auch als die historische Fabrik zum Automuseum Dr. Carl Benz wurde, standen sie wieder nebeneinander. Bis zu jenem Tag, als eine angeheiratete Haupterbin des Benz Nachlasses das Automuseum Dr. Carl Benz nicht mehr für würdig befand den Wagen weiter zu pflegen, auszustellen und so der Nachwelt zu erhalten. Das Fahrzeug wurde abgeholt und kam als Geschenk in das Technoseum nach Mannheim. Ich war natürlich zuerst einmal ziemlich enttäuscht. Aber manchmal können negative Erfahrungen ja auch zu positiven Entscheidungen führen. Seit vielen Jahren wusste ich, dass es im fernen Neuseeland noch einen dritten Benz Söhne Wagen gibt.
Rückblick
Es war im Herbst des Jahres 1997 als ich von einem Herrn Compter aus Neuseeland die Nachricht erhielt, dass dort ein Benz Söhne Fahrzeug existiert.
Hans Compter, ein leidenschaftlicher Oldtimer Sammler, der schon in den achtziger Jahren des letzten Jahrhunderts mit einer beachtlichen Oldtimer-Sammlung, die bereits 60 Fahrzeuge umfasste, aus Holland nach Neuseeland ausgewandert war, hatte das Fahrzeug in Queensland (Australien) ausfindig gemacht. Noch war er sich allerdings nicht ganz sicher, ob es sich bei dem Wagen tatsächlich um ein Automobil aus der Ladenburger Benz-Fabrik handelt. Ich bat ihn damals mir möglichst viele Fotos zu schicken.
Mit der nächsten Post kam eine Serie Fotos und mit den Fotos auch eine gewisse Ernüchterung. Es war zwar eindeutig zu erkennen, dass es ein Benz Söhne Wagen ist, der auf den Fotos zu sehen war. Ein besonderer Zufall half uns dabei, das Fahrzeug eindeutig zu identifizieren. Vor vielen Jahren wurde uns ein Benz Söhne Motor aus Holland angeboten. Der Motor hatte die Nr. 186. Ein altes
Kommissionsbuch der Fa. C. Benz Söhne gab Auskunft darüber, dass das Fahrzeug mit der Motor-Nr. 186, damals als Taxi nach London geliefert wurde. Es war der gleiche Motor, der auf einem der Fotos zu sehen war. Weiteren Aufschluss gaben uns originale Werkszeichnungen der Fa. C. Benz Söhne.
Am Telefon erzählte mir Hans Compter, dass es irgendwann in Queensland einen Buschbrand gegeben hatte und dass der Wagen dadurch beschädigt wurde. Danach hatte man ihn wohl zerlegt und in einer verfallenen Garage vergessen. Er beabsichtigte auch nicht das Fahrzeug zu verkaufen, denn er wusste natürlich was für eine Rarität er da entdeckt hatte. „Für seine eigene Sammlung sei dieser Wagen ein wichtiger Meilenstein“ schrieb uns Hans Compter in einem weiteren Brief und er will jetzt mit der Restaurierung beginnen. Er hatte inzwischen eine eigene Restaurier-Werkstatt in Neuseeland aufgebaut, in der ihm alle nötigen Mittel zu Verfügung standen. Im Jahr 2000 begann Hans Compter mit der Arbeit. Soweit ich konnte habe ich ihn mit den Erkenntnissen, die hier in Ladenburg durch Archiv-Material vorhanden waren, dabei unterstützt. Immer in der Hoffnung, das sich der Wahl Neuseeländer vielleicht doch einmal dazu entschließen könnte, den Wagen zu verkaufen. Schritt für Schritt wurden die einzelnen Teile in Neuseeland überholt und wieder zusammengebaut. Immer wieder kamen Fotos aus dem fernen Land, die den Fortgang der Arbeit zeigten. Meistens waren auch ein paar Fragen über die eine oder andere technische Besonderheit der Benz Söhne Wagen mit den Fotos verbunden.
Ein kleines Geheimnis blieb in Ladenburg
ln unserem Archiv gab es ein Foto, das den Benz Söhne Wagen zeigte, mit denen die Benz Söhne Eugen und Richard damals an motorsportlichen Veranstaltungen teil genommen hatten. Es war das gleiche Modell wie der Neuseeländische Wagen. Und noch ein Geheimnis hatten wir. Damals als wir die historische Benz Fabrik gekauft hatten, war erst einmal aufräumen und entrümpeln angesagt. Dabei fanden sich auch einige Originalteile eines 10/22 PS Wagens, die die Jahrzehnte auf einem Dachboden überlebt hatten. Besonders interessant war die hölzerne Spritzwand hinter der Motorhaube, die wahrscheinlich sogar von dem Sportwagen stammte. Wir haben damals die Teile sorgsam gereinigt und erst einmal eingelagert. So vergingen die Jahre, in denen die Verbindung nach Neuseeland nie unterbrochen war… Bis zu den Ereignissen um den zweiten Benz Söhne Wagen und die negativen Erfahrungen, die wir mit der angeheirateten Erbin machen mussten.
Jetzt oder nie
Ich schrieb einen neuen Brief an Hans Compter. Via E-Mail versuchte ich ihm eindringlich klar zu machen, dass der Wagen eigentlich wieder in die Fabrik gehört, in der er damals im Jahr 1911 hergestellt wurde.
Es vergingen nur wenige Tage bis die Antwort auf dem Bildschirm und im Drucker erschien. Hans Compter war bereit sich von dem Fahrzeug zu trennen. In den letzten Jahren war er mit der Restaurierung auch nicht mehr so richtig weiter gekommen. Besonders die Ölversorgung des Motors machten ihm große Probleme. Nach kurzer Zeit erhielt ich eine Serie von Fotos, die den Wagen in dem Zustand zeigten, den Hans Compter durch seine Arbeit bereits erreicht hatte. Die Verhandlungen über den Kaufpreis waren zwar nicht ganz einfach. Holländer sind nun mal gute Geschäftsleute, auch dann noch, wenn Sie nach Neuseeland ausgewandert sind. Wir wurden uns trotzdem einig. Nur Reifen sollten noch montiert werden, damit das Fahrzeug für den Transport rollfähig wird.
Am 24.6.2016 kam die Nachricht, dass unser Benz Söhne Wagen von Auckland/Neuseeland aus auf die Reise gegangen ist. Auf dem Frachtschiff mit dem stolzen Namen„Spirit of Melbourne“ sollte die seltene Fracht nach Rotterdam in Holland gehen. Dort wollte Hans Compter den Wagen persönlich in Empfang nehmen und selbst mit einem Transportfahrzeug nach Ladenburg bringen. Es vergingen vier spannende Wochen bis zum 27. Juli 2016. Die Spirit of Melbourne war in Rotterdam eingetroffen. Am 10. August traf Hans Compter mit dem Wagen auf einem historischen Opel-Transporter in Ladenburg ein.
Wieder zu Hause
Es war für alle, die dabei waren, ein einmaliges Erlebnis als das komplette Fahrgestell des Benz Söhne Wagens zusammen mit einer großen Kiste Teile, die noch nicht montiert waren, wieder auf den Hof der Fabrik rollte, in der er vor 115 Jahren hergestellt worden war. Hans Compter griff noch einmal in das Lenkrad und wir schoben das Ladenburger Automobil in unsere Restaurier- Werkstatt. Hans Compter verabschiedete sich und fuhr weiter nach Stuttgart, wo er ein anderes Fahrzeug für seine Sammlung gekauft hatte. Noch am gleichen Tag begannen wir damit, die mitgelieferten Teile zu sortieren und wenn möglich ihrer Bestimmung zuzuordnen. Den ersehnten Erfolg hatten wir schon am nächsten Tag, als wir feststellen konnten, dass die hölzerne Spritzwand, die wir damals bei der Entrümpelungsaktion der Fa. C.Benz Söhne gerettet hatten, genau in unseren Wagen passte.
Restaurierarbeiten
Zunächst einmal musste ein Holzrahmen angefertigt werden, der auf das Chassis montiert werden konnte, um später den Aufbau zu tragen. Dieses gewaltige Holzgestell war eindeutig eine Nummer zu groß für uns. Doch wozu hat man Freunde? Die Ladenburger Fa. Holz und Glas, die einmal unser Nachbar am alten Standort des Museums war, zeichnete zusammen mit uns die Pläne und nur eine Woche später konnte das Holzgestell auf dem Chassis angepasst werden. Danach wurde die vorhandene Spritzwand an Messingwinkeln montiert.
Stück für Stück bekam der Benz Söhne Wagen wieder das Ansehen des Sportwagens von Eugen und Richard Benz. Die hölzernen Sitzgestelle, die damals bei dem Buschbrand vernichtet wurden, konnte uns ein Spezialist aus Coburg anhand von Zeichnungen anfertigen. In einer Sattlerei in Mannheim bekamen sie eine neue Polsterung. Ein wahrer Künstler in Rabenau bei Dresden hatte noch die nötigen Kenntnisse, den alten Messingkühler zu überholen. Sogar das Kühlernetz mit den damals üblichen „Bienenwaben“ konnte Herr Henke in seiner Firma Henke Kühlerbau selbst anfertigen. Der Kühler war mir so wertvoll, dass ich ihn selbst nach Rabenau gebracht und nach Fertigstellung auch wieder abgeholt habe, damit auf dem Frachtweg auch ja nichts passieren konnte. Inzwischen ist er mit dem Schriftzug „Benz Söhne“ wieder montiert. Der große runde Kupfertank mit der aufgepinselten Startnummer 2 gibt dem historischen Sportwagen jetzt fast schon ein siegessicheres Aussehen.
Zur optischen Vollendung fehlte eigentlich nur noch die Kühlerhaube. Volkmar Ewert, ein Mitglied des Fördervereins, hatte eine großartige Idee. Als Lehrer arbeitet er an der Erhard-Schott Berufsschule im nahen Schwetzingen. Seine Schüler sind alle aus der KFZ-Branche. Er wollte seine Jungen dafür begeistern, diese Motorhaube zu Lehrzwecken mit ihm zusammen anzufertigen. Die nötigen Messingscharniere, die es heute wahrscheinlich gar nicht mehr gibt, hatte ich noch als „Altbestand“ am Lager. Immer wieder wurde angepasst, nach gearbeitet und verformt, bis alles wieder genauso aussah wie auf dem Foto, das den Rennwagen von damals zeigt. Eigentlich wollten wir alle Blechteile mit dem Pinsel von Hand lackieren, so wie es damals üblich war. Aber die Versuche, eine schöne Oberfläche mit leichter Pinselstrichstruktur zu erreichen, scheiterten. Die heutigen Lacke, die wir probeweise aufpinselten, waren so abgemischt, dass sie möglichst gut verlaufen. Am Ende wirkte unser Versuch nicht besser als eine schlechte Spritzlackierung. Aber wie schon erwähnt wozu hat man Freunde.
Thomas Jaitner, der vor vielen Jahren einmal meinen 190 Renn SL als Angestellter in einer Autolackiererei mit frischem Lack überzogen hatte, ist jetzt selbst Chef in seiner eigenen Autolackiererei in Weinheim an der Bergstraße. Ein Telefonat genügte und Thomas machte mir klar, dass weitere Pinselversuche völlig zwecklos und unproduktiv sind. „Bring die Sachen her, ich lackiere sie Dir.“ Wir wählten einen warmen Weißton, so wie es damals in Deutschland bei den Rennwagen üblich war. Inzwischen sind die lackierten Teile montiert und der Wagen ist optisch fast schon perfekt. Auf der Plattform hinter dem Tank sind zwei leicht angefahrene Reifen geschnallt, die Valentin Schaal von „Münchner Oldtimer Reifen“ für den Benz Söhne Wagen gestiftet hat.
Eigentlich gibt es nur noch ein paar technische Probleme an dem Motor, der vor längerer Zeit in Neuseeland überholt wurde. Da wäre z.B. die Ölversorgung durch einen Tropföler mit 4 Abgängen, die Spannverstellung der Windflügelhalterung und die Handregulierung für Zündung und Gas. Aber wir sind sicher, dass wir diese „Kleinigkeiten“ auch bald gelöst haben, denn alle Beteiligten freuen sich jetzt natürlich darauf, dass der Wagen die ersten Proberunden auf unserem Museumshof drehen kann.
Es war ein schönes und erfolgreiches Erlebnis den Benz Söhne Wagen, der im Jahr 1911 in der Benz Fabrik in Ladenburg hergestellt wurde, aus der Vergangenheit in die Gegenwart zurück zu holen. Die negativen Erlebnisse mit der angeheirateten Erbin sind inzwischen unter der Rubrik „schlechte Erfahrungen“ in einer Akte in der untersten Schublade in unserem Archiv abgelegt.
Quelle: W.A.Seidel