Seit über 20 Jahren findet im niederländischen Maastricht die „Interclassics & Topmobiel“ statt, die größte Oldtimermesse im Benelux-Raum. Sie zieht hochkarätige Aussteller aus Holland, Deutschland, Belgien, Frankreich und England an – für Besucher ist die geografische Lage ebenso günstig.
Eines vorweg: Auch ohne die Interclassics ist Maastricht eine Reise wert. Die alte Römerstadt am Maas-Übergang bietet eine Altstadt von einer Geschlossenheit, wie wir sie hierzulande kaum kennen. Hier kann man quer durch die Jahrhunderte flanieren – vom Mittelalter bis ins frühe 20. Jahrhundert – die wenigen Vertreter der Schuhkasterl-Moderne stören kaum. Die Maastrichter bewahren hingebungsvoll die Zeugen ihrer Geschichte: Kaum ein Haus, das nicht über die originalen Holztüren und Sprossenfenster verfügt, alles handwerklich sorgfältig gemacht und durchweg geschmackssicher heraus geputzt.
Dabei ist die Altstadt keineswegs museal erstarrt – das Zentrum ist voller Leben, hier kommen Jung und Alt auf ihre Kosten. Ob italienische oder lokale Designer, ob mondäner Chic oder Alternatives, die Vielfalt des Angebots auf so kleinem Raum ist auffallend. Ebenso begeistert die kulinarische Szene, auf Schritt und Tritt locken Cafés, traditionelle Brasserien und liebevoll geführte Restaurants. Wer nicht gleich mit Deutsch ins Haus fällt, sondern es erst einmal auf Englisch versucht, wird auf sympathische Menschen stoßen, die uns an Entspanntheit einiges voraus zu haben scheinen.
Reißt man sich vom Zentrum los, ist man mit dem Auto in wenigen Minuten an der Maastrichter Messe. Kommt man Samstags Mittag zur Interclassics und hat keine Eintrittskarte vor gebucht, muss man sich allerdings auf gut eine halbe Stunde Warten und etwas Gedränge einstellen. In den Hallen geht es dann deutlich gemächlicher zu, meist kann man ungestört an den Ständen stöbern.
Wer fotografieren will, muss freilich Geduld haben, selten hat man „freie Schussbahn“. Auch das gleißende Licht erschwert es, brauchbare Bilder in natürlichen Farben zu machen. Wer sich auf fotografische Stillleben an den Teileständen oder Detailaufnahmen verlegt, kann aber reiche Beute machen – einige Auslagen sind ausgesprochen liebevoll gestaltet und bei vielen Fahrzeugen sind Motor- und Innenräume gut zugänglich.
Das Fahrzeugangebot ist stark von den üblichen Verdächtigen geprägt – also international gängigen Wagen deutscher und britischer Prestigemarken wie Mercedes und Porsche, Bentley, Jaguar und Aston-Martin. Nachdenklich stimmt einen das große Angebot an Zuffenhausener 911ern in US-Ausführung mit den unharmonisch wirkenden Sealed-Beam-Scheinwerfern und Lackierungen, die sowohl von der Farbe als auch von der Ausführung kaum für Begeisterung sorgen. Auch ein BMW 635 CSI – an sich eine Stilikone der 1970er Jahre – war ausgerechnet in der schaurigen Version mit den US-Stoßfängern vertreten, die jedes Auto wie einen überdimensionierten Autoscooter wirken lassen. Wenn eine internationale Klassikermesse im Herzen Europas so stark auf optisch zweitklassige Reimporte aus den USA angewiesen ist, scheint der heimische Markt leer gefegt zu sein.
Wirklich interessante Fahrzeuge im Sinne von seltenen Marken oder Sonderausführungen sind auf solchen Publikumsmessen naturgemäß rar, aber sie sind das Salz in der Suppe und tatsächlich kommt der an Exoten interessierte Besucher in Maastricht mit einiger Geduld auf seine Kosten. Kaum verwunderlich, dass die Vorkriegsfraktion eine ganze Reihe Überraschungen bereithält. Vergleichsweise konventionell zwar von der Marke, aber eine unbedingte Rarität in der Erhaltung ist ein zum Verkauf stehender Fiat 509 von 1929.
Das einstige Turiner Volumenmodell der späten 1920er Jahre ist gegenüber den populäreren Nachfolgern aus den 30er Jahren kaum bekannt. Hier ist der FIAT 509 als geschlossener Viertürer vertreten, in dezenter Zweifarblackierung (schwarz-bordeaux) und ganz offensichtlich komplett im Originalzustand. Nicht nur die ursprüngliche Kunstlederbespannung der hölzernen Fahrgastzelle (Patent Weyman) ist erhalten, auch der Innenraum scheint bis ins Detail unversehrt zu sein. Die dezente Patina des Wagens sorgt für eine einzigartige Ausstrahlung. Sie ermöglicht eine unmittelbare Begegnung mit der Geschichte, die nach vorsichtiger Konservierung verlangt. Jede konventionelle Restaurierung käme einer Zerstörung gleich. Offenbar hat der hübsche und keineswegs primitive Wagen viel Glück gehabt. Nun ist er für 25.000 Euro zu haben, nicht viel für ein 85 Jahre altes 20 PS-Modell in spektakulärem Zustand. In Zeiten, in denen für einen komplett auf neu gemachten VW T1-Bus in der Samba-Ausführung über 100.000 Euro verlangt werden (kürzlich gesehen in der Klassikstadt Frankfurt) geradezu ein Sonderangebot und ein „echter“ Klassiker.
Zwar nicht zu verkaufen, aber nicht weniger zu bewundern als der 1929er FIAT ist der nur ein Jahr ältere D’Yrsan, ein offener Sportwagen aus Frankreich, der über einen mit Cozette-Kompressor aufgeladenen Vierzylindermotor mit 1100 ccm verfügt. Er steht für die großartige Tradition der Cyclecars, kleine und leichte Zweisitzer mit schmalen Reifen, die es in einer kaum überschaubaren Vielfalt gab, bevor die Weltwirtschaftskrise den Kleinserienherstellern den Garaus machte. D’Yrsan ist übrigens ein Fantasiename, gebildet aus den Buchstaben des Namens des Firmeninhabers Raymond Siran, seinerzeit eine beliebte Methode, eine interessant klingende Marke zu schaffen. D’Yrsan baute zunächst Dreiräder ähnlich denen der Firma Morgan, bevor man kurzzeitig auch vierrädrige Wagen anbot, von denen angeblich nur etwas mehr 50 Exemplare entstanden sind.
Noch größere Bewunderung verdient allerdings nach Meinung des Verfassers der ebenfalls nicht zum Verkauf stehenden Rolland-Pilain von 1909. Wer bislang glaubte, vor dem Ersten Weltkrieg seien allenfalls motorisierte Kutschen ohne erkennbaren Gestaltungswillen hergestellt worden, wird hier eines Besseren belehrt. Der mit einem 2,1 Liter Vierzylinder bestückte und über 100km/h schnelle Wagen verfügt über eine Karosserie von unerhörter Eleganz: schlank, flach und mit dezenter Linierung versehen. Kaum zu glauben, dass ein 105 Jahre altes Auto alles mit sich bringt, was einen klassischen Sportwagen ausmacht: Leistung, auf Geschwindigkeit konzentrierte Form und eine der Sphäre schnöder Funktionalität enthobene Gesamterscheinung. Die irritierende Schönheit des Wagens wird vielleicht verständlicher, wenn man sich vergegenwärtigt, dass er während des Jugendstils entstanden ist, der vor dem Ersten Weltkrieg in Frankreich und Deutschland in praktisch allen Bereichen der Gestaltung seine Hochzeit hatte. Die Firma Rolland-Pilain erzielte später einige Achtungserfolge mit komplex konstruierten Achtzylinder-Sportwagen, ging aber wie viele andere 1929/1930 unter.
Ein weiteres Auto, das das Herz des Vorkriegs-Enthusiasten höher schlagen lässt, ist ein zeitgenössisch zum Lieferwagen umgebauter 20hp Rolls-Royce. Über den Hersteller der gekonnten Karosserie ist nichts bekannt, jedenfalls strahlt das Fahrzeug eine Würde und Solidität aus, die einem in Zeiten nichtssagender und schnell rostender Sprinter und Crafter beschämend vorkommt. Der verlangte Preis von 46.000 Euro ist sicher ehrgeizig, zumal das 20 PS-Modell von Rolls-Royce in Standardausführung häufig deutlich günstiger zu bekommen ist. Doch gemessen an modernen Mittelklassekombis mit Vollausstattung, die nur an Wert verlieren, keine echte Freude bereiten und in 80 Jahren ungeachtet allen Nachhaltigkeitsgeredes sicher nicht mehr existieren, dürfte dieses Funktionsmobil die bessere Wahl sein…
Der Vollständigkeit halber erwähnt sei die Ausstellung von Maseratis aus 100 Jahren Firmengeschichte, die sich allerdings durch eine bemerkenswert einfallslose Präsentation auszeichnet. Die fabelhaften Autos kommen dabei kaum zur Geltung.
Löbliche Ausnahme ist das nur Kennern geläufige 125ccm Motorrad, das in den 1950er Jahren unter der Marke mit dem Dreizack vertrieben wurde. Maserati hatte allerdings technisch keinen Einfluss auf diese Maschine, sie wurde von der eigens angekauften Firma Italmoto produziert. Das Motorrad lässt den Einfluss der legendären DKW RT 125 erkennen, die von den späten 1930er bis 1960er Jahren der weltweit erfolgreichste Zweitakter war und selbst von Harley-Davidson, BSA und Yamaha kopiert wurde. Die 125er von Maserati zeichneten sich allerdings durch mehr Leistung und das für italienische Maschinen dieser Klasse typische sportliche Design aus.
Die Brot- und Butterware, die es in Form amerikanischer Straßenkreuzer und einiger italienischer Klassiker zu besichtigen gibt, verdient keine nähere Erwähnung. Enttäuschend fällt auch das Fazit aus, wenn man mehr französische Fahrzeuge erwartet hat. Einen Panhard, einen Amilcar, Hotchkiss oder Salmson hat der Verfasser jedenfalls nicht gesichtet, da ist selbst die kleine, aber feine Börse im elsässischen Lipsheim ergiebiger. Ebenso fragt man sich, weshalb die großartige Tradition belgischer und französischer Motorräder der 1920er bis 50er Jahre praktisch nicht präsent ist. Für eine Messe im Raum Benelux ist dieser Befund irritierend. Sollte sich auch hier der von San Francisco bis Hongkong herrschende, internationale Einheitsgeschmack mit Präferenz für noch existierende Prestigemarken durchgesetzt haben?
Nun, solange sich zwischen hoch geredeten und von blauäugigen Investoren gekauften Anlageobjekten Preziosen wie die hier besprochenen finden lassen, lohnt sich der Besuch der Interclassics & Topmobiel. Und ein Aufenthalt im Kleinod Maastricht ist allemal ein Erlebnis. Mit etwas Glück findet man dort auch ohne Oldtimermesse die eine oder andere mobile Antiquität, beispielsweise einen Austin Seven als Ausstellungsstück in einem Trödelladen.
© Text, Fotoquelle und Bildrechte: Michael Schlenger