Rennfestival in Monthléry – Die Vorkriegsszene lebt!

In der deutschen Oldtimerszene hört man oft, dass sich kaum mehr jemand für die Fahrzeuge der Zeit vor dem Krieg interessiere. Zu diesem Eindruck mag beitragen, dass sich die Berichterstattung in den hiesigen Klassikermagazinen auf die populären Großserienwagen der 1950er bis 70er Jahre konzentriert. Doch bei näherem Hinsehen findet man etliche Veranstaltungen, bei denen Vorkriegsfahrzeuge eine wichtige oder sogar die Hauptrolle spielen. Dabei scheint auch der Generationswechsel zu funktionieren, wie man an der Präsenz junger Teilnehmer ablesen kann, die sich übrigens auffallend für Themen wie originale Patina und zeitgenössische Kleidung begeistern.

Populäre Vorkriegsmotorräder

Speziell bei der Motorradfraktion lässt sich beobachten, wie sich die Vorkriegsszene im deutschsprachigen Raum verjüngt und verändert hat. Beispiele dafür sind die in Rheinhessen stattfindende „Keilriemenfahrt“, die „Franz-Josefs-Fahrt“ in Österreich und das „Board-Track-Racing-Treffen“ auf dem Velodrom in Darmstadt.

Harley Fahrer Velodrom Darmstadt
Harley Fahrer Velodrom Darmstadt © Fotoquelle und Bildrechte: Michael Schlenger

Sicher fällt dem Zweirad-Freund der Einstieg in die Vorkriegswelt leichter als dies bei Automobilen der Fall ist. Vorkriegsmotorräder üben durch ihre rustikale Optik, oft beachtliche Leistung und kernigen Klang einen unmittelbaren Reiz aus, dem man sich mit etwas Benzin im Blut nur schwer entziehen kann. Auch gibt es hier noch ein großes Angebot an bezahlbaren Vehikeln, die nur geringe Ansprüche an Unterhalt und Unterkunft stellen. Dagegen gelten Autos aus der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts als lahm und langweilig, aufwendig zu unterhalten und schwer zu fahren.

Verborgener Charme von Vorkriegswagen

Wer einmal Veranstaltungen besucht hat, bei denen Vorkriegsautos nicht nur museal oder als Spekulationsobjekt präsentiert, sondern ausgiebig gefahren werden, macht eine erstaunliche Entdeckung: Das Erlebnis speist sich nicht aus dem Gefühl hoher Geschwindigkeit und der optische Genuss bedarf keiner sensationellen Karosserien.

Carosserie Firma Kruck vor 1914
Carosserie Firma Kruck vor 1914 © Fotoquelle und Bildrechte: Sammlung Michael Schlenger
Bei den Fahrzeugen der Pionierjahre ist noch die Ingenieurs- und Handwerkskunst einzelner Menschen sichtbar, deren Innovationskraft und Können die Entwicklung vorangetrieben hat. Gleichzeitig sorgten die riesige Zahl an Marken und die Vielfalt der technischen Konzepte aus der Zeit vor der Massenfertigung für eine Individualität der Fahrzeuge, die später verlorengegangen ist.

Sieht man nun diese altehrwürdigen Zeitzeugen in Bewegung, dann erlebt man die arbeitende Technik in einer Unmittelbarkeit, die ans Lebendige grenzt. Vorkriegsautos sind auch nicht schwer beherrschbar, sondern auf eine positive Weise fordernd: Betrieb und Wartung setzen Verständnis und Gefühl für ein komplexes Gebilde voraus, das Fahren verlangt stete Aufmerksamkeit und Beherztheit. So stellt sich auch bei objektiv oft nur geringer Leistung eine Intensität des sinnlichen Erlebens ein, die keines der neuzeitlichen Vehikel vermitteln kann, die den Insassen von jeder Anstrengung entlasten.

Vorkriegsautos in Aktion

Ganz offenbar gibt es ein wachsendes Bedürfnis nach dem intensiven Fahrvergnügen von einst, und so gibt es für die Vorkriegsfraktion auch hierzulande einige Gelegenheiten, ihre Vehikel auf der Straße einzusetzen. Beispiele dafür sind die „Kronprinz-Wilhelm-Rasanz“ am Niederrhein, die Herkomer-Konkurrenz® in Landsberg am Lech und der wiederbelebte „Großglockner Grand-Prix“.

Ungeachtet dieser großartigen Veranstaltungen lehrt einen erst der Besuch im benachbarten Ausland, wie quicklebendig und enthusiastisch die Vorkriegsszene wirklich ist. So nehmen am „London-Brighton-Run“ jährlich über 400 vor dem Jahr 1905 gebaute Fahrzeuge teil. Die Leidenschaft für motorisierte Vehikel der Vorkriegszeit ist auch bei unseren französischen Nachbarn ähnlich groß wie bei den Briten. Das hat nicht nur mit der besonderen Markenvielfalt in beiden Ländern in der Frühzeit des Automobils zu tun. Es spiegelt auch ein generell stärkeres Bewusstsein für die Historie als Wurzel der eigenen Identität wider, während in Deutschland mit dem Willen zum Neuanfang nach dem Krieg auch manche positive Traditionen leichtfertig entsorgt wurden. Anders ist es kaum zu erklären, weshalb so wenige von den Fahrzeugen deutscher Produktion aus den Anfängen einsatzbereit erhalten sind. Ein zeitgenössisches Beispiel für den oft immer noch gedankenlosen Umgang mit dem Erbe der eigenen Technikhistorie ist etwa der Versuch von Provinzpolitikern, den Nürburgring zu einem zweiten Disneyland zu machen.

Vorkriegsrenner in Monthléry

In Frankreich treten zwar ebenfalls abgehobene Politiker gern mit fragwürdigen Prestigebauten hervor. Immerhin konnte aber im Fall der legendären Rennstrecke von Monthléry südlich von Paris das Schlimmste verhindert werden. Hier ist es gelungen, den Charakter des 1924 erbauten Rundkurses mit seinen Steilkurven zu erhalten und die Strecke für historische Rennveranstaltungen zu nutzen. Gab es früher auch im englischen Brooklands und im italienischen Monza sowie in Daytona (USA) und auf der Berliner AVUS Rennstrecken mit Steilkurven, ist der „Circuit de Monthléry“ heute der einzige Ort, an dem diese noch befahren werden können.

Die europäische Vorkriegsszene macht von den atemberaubenden Möglichkeiten der Strecke von Monthléry regen Gebrauch. So trafen sich dort zuletzt im Mai 2015 rund dreihundertfünfzig (!) Fahrzeuge, um den Kurs anlässlich des „Vintage Revival Monthléry“ unter die Räder zu nehmen. Dabei war das gesamte Spektrum motorisierter Vehikel vom Anfang des Jahrhunderts bis Ende der 1930er Jahre zu erleben. Entsprechend ihrer unterschiedlichen Leistungsfähigkeit und Charakteristik traten die Fahrzeuge in acht Starterfeldern an. Einen Vorgeschmack auf diese beeindruckende Vielfalt gibt bereits das folgende Veranstalter-Video:


© Fotoquelle YouTube und Bildrechte: amilcar26

Spektakulär besetzte Starterfelder

Unter den Automobilen entfiel das größte Startfeld mit fast 50 Wagen auf Cyclecars der 1920er/30er Jahre. Diese besonders leichten und oft mit zugekauften Motoren ausgestatteten Fahrzeuge wurden einst von hunderten Herstellern in Frankreich und England gebaut. Kaum überraschend waren hier daher überwiegend Austin Sevens, Morgans und Salmsons anzutreffen.

Salmson Cyclecar Schloss Dyck 2014
Salmson Cyclecar Schloss Dyck 2014 © Fotoquelle und Bildrechte: Michael Schlenger

Ältester Teilnehmer in diesem Feld war ein Bugatti Type 15 von 1912; aus dem Rahmen fiel außerdem ein Tatra T11 von 1925. Nicht weniger eindrucksvoll präsentierte sich das 40 Fahrzeuge umfassende Starterfeld mit kompakten Rennwagen der späten 1920er Jahre, darunter allein 14 Amilcars (z.T. mit Kompressor) und 13 Salmsons. Mit elf Autos gut vertreten war auch die weniger bekannte französische Marke BNC, die bis 1930 mit kleinvolumigen Wagen Rennen bestritt.

Amilcar in Lipsheim 2014
Amilcar in Lipsheim 2014 © Fotoquelle und Bildrechte: Michael Schlenger

In einem eigenen Feld starteten des Weiteren mehr als 40 leistungsstärkere Rennwagen der 1920er und 30er Jahre. Neben 12 Bugattis der Typen 13, 35 und 37 waren hier acht weitere Amilcar mit von der Partie. Außerdem kamen sechs Fahrzeuge des kleinen, aber feinen Herstellers Rally zum Einsatz, der bis 1933 in Frankreich produzierte und sogar eigene Motoren entwickelte.

Rally Originalfoto von 1930
Rally Originalfoto von 1930 © Fotoquelle und Bildrechte: Sammlung Michael Schlenger

Eine starke britische Präsenz zeichnete das nächste Starterfeld aus, das wiederum 40 Teilnehmer umfasste. Hier dominierten Rennwagen von Aston-Martin, MG und Riley. Beeindruckend war daneben die Präsenz von Bugatti mit zehn Wagen der Typen 35, 51 und 59. Von den faszinierenden italienischen Grand-Prix-Wagen der Zeit waren zwei Maserati und ein Alfa Romeo vertreten. Autos dieses Kalibers sieht man in der ersten Hälfte des folgenden Videos in voller Fahrt:
https://www.youtube.com/watch?v=BCIT57mbK_Q
© Fotoquelle YouTube und Bildrechte: Ivo Huizinga

Ein drittes, recht breites Starterfeld umfasste schließlich Rennwagen aus der Zeit vor und nach dem 1. Weltkrieg. Zu den Ältesten zählten drei Mercedes, die an Grands Prix vor dem 1. Weltkrieg teilgenommen hatten. Weitere Raritäten aus der Veteranenära waren ein Clement von 1903, ein Mors von 1907 und ein Brasier von 1908 – beide Specials mit Flugmotor – sowie ein Rolland-Pilain von 1909, allesamt aus Frankreich. Aus den 1920er und 1930 Jahren stammten vor allem britische Fahrzeuge sowie drei US-Rennwagen von Buick, Chrysler und Studebaker.

Besonders reizvoll war das Feld der stark motorisierten Threewheeler, in dem erwartungsgemäß die britischen Marken Morgan und Sandford dominierten. Die Sandfords waren zwar von Morgan inspiriert, wurden aber in Frankreich gebaut und wiesen einige Besonderheiten auf. Abgerundet wurde das Feld durch sechs Wagen der ebenfalls französischen Marke Darmont, die sich enger an das Morgan-Vorbild anlehnten. Das enorme Leistungsvermögen der Dreiräder unter den einzigartigen Bedingungen von Monthléry wird im folgenden Video ab 0:40 min deutlich:

© Fotoquelle YouTube und Bildrechte: Michael Buller

Die übrigen Starterfelder umfassten Motorräder mit Baujahr vor 1919, beinahe 100 Motorräder der Zwischenkriegszeit sowie interessante „Mischwesen“ aus Auto und Motorrad. Einige davon bekommt man in diesem Video zu sehen, das von Bord eines britischen Tamplin Bj. 1921 aufgenommen wurde:

© Fotoquelle YouTube und Bildrechte: amilcar26

Bei den Zweirädern wurde das Feld übrigens von britischen, französischen und belgischen Marken dominiert. Die an Typen nicht weniger reiche deutsche Motorradszene war nur vereinzelt präsent. Dies mag an der Fülle attraktiver Veranstaltungen für Zweiradveteranen hierzulande liegen. Vielleicht ist das Vorkriegs-Festival von Monthléry aber auch in Deutschland noch zu wenig bekannt. Wer auf den Geschmack gekommen ist, kann im folgenden Video noch mehr starke Eindrücke von dieser großartigen Veranstaltung bekommen. Dort ist ab 1:10 min Vorkriegs-Fahrvergnügen vom Feinsten zu sehen:

© Fotoquelle YouTube und Bildrechte: Jean-Baptiste AVRIL

Ermutigend ist, dass in Monthléry viele Jüngere mit von der Partie sind und eine trotz der kostbaren Fahrzeuge entspannte Atmosphäre herrscht. Auch abseits der Strecke laden zahllose Sehenswürdigkeiten zum Schlendern und Staunen ein. Was in Monthléry an Pretiosen aus der Vorkriegszeit wie selbstverständlich herumsteht und -fährt, ist schlicht einmalig:

© Fotoquelle YouTube und Bildrechte: Philippe Geoffray

Text: Michael Schlenger