Oldtimer mit Patina im Trend – Crabtree Classics

Wer auf der Suche nach einem perfekt restaurierten Concours-Fahrzeug, einem hochglanzpolierten Schaustück oder einem mit moderner Technik ausgestatteten Klassiker ist, dem steht bei Oldtimerhändlern ein großes Angebot offen. Wer dagegen auf ein unrestauriertes, konserviertes oder regelrecht heruntergekommenes Fahrzeug aus ist, aber keine Zeit zur Entdeckung eines eigenen Scheunenfundes hat, der hat deutlich weniger Auswahl. Ein Händler, der sich auf genau solche Exemplare spezialisiert hat, ist Geoffrey Crabtree von Crabtree Classics.

Geoffrey Crabtree ist von Beruf Immobiliensachverständiger und hat sich nebenbei schon immer mit Automobilen beschäftigt. Aber erst vor kurzem hat er beschlossen, sein Hobby zu einem Geschäft zu machen. Das erste Auto, das ihn angezogen hat, war ein Railton Fairmile Drophead von 1936. Er kaufte den Wagen vor vierzig Jahren, besitzt ihn noch heute und setzt ihn regelmäßig bei Ausfahrten ein. In der Zwischenzeit kamen und gingen viele andere Fahrzeuge. In den 1980er Jahren verbrachte Geoffrey Crabtree immer mehr Zeit damit, Vorkriegsautos zu kaufen und zu verkaufen. Damals bevorzugte der Zeitgeschmack allerdings noch Vollrestaurationen und nicht die in Würde gealterten Exemplare, die ihm selbst am besten gefielen. Seinerzeit betrieb er einen florierenden Handel mit Vorkriegs-Rolls-Royce und reimportierte, dank der Stärke des britischen Pfunds, etliche davon aus den USA. Er schätzt, dass er an die 30 dieser Fahrzeuge zurück in die Heimat gebracht hat, darunter viele mit ungewöhnlichen oder einzigartigen Karosserien. Etliche davon haben allerdings wieder Besitzer außerhalb Englands gefunden.

Peugeot 202 Pritsche
Peugeot 202 Pritsche © Fotoquelle und Bildrechte: Michael Schlenger

Geoffrey Crabtree hat sich keineswegs immer nur für Vorkriegswagen oder alte Fahrzeuge interessiert. Als Technikenthusiast und begeisterter Autofahrer fand er in den 1970er Jahren den Weg zum Rallyesport und fuhr recht bald wettbewerbsmäßig einen Porsche 911. Für kurze Zeit war er außerdem Werksfahrer im DTR Rallye-Team von Vauxhall und nahm mit einem hochgezüchteten Chevette HS an internationalen Wettbewerben teil. Seine Liebe zum Rallyesport erwachte später aufs Neue, als in den 1990er Jahren die ersten Rennveranstaltungen für historische Fahrzeuge ins Leben gerufen wurden. Damals war er einer der ersten, die mit einem 911er antraten – heute das Fahrzeug der Wahl für alle, die bei solchen Veranstaltungen gewinnen wollen.

Im Jahr 2010 machte Geoffrey Crabtree mit der Gründung von Crabtree Classics sein langjähriges Hobby zum Beruf. Dabei arbeitet er von seinem zauberhaften alten Pfarrhaus aus, das der Georgian-Ära 1) entstammt und in dem kleinen Ort Hucking 2) in der Grafschaft Kent liegt. Dort hat er sich in einer Nische als einer der wenigen auf unrestaurierte Autos spezialisierten Händler eingerichtet. Als Folge seiner häufigen Besuche in Frankreich sind in seinem Angebot hochkarätige Limousinen kontinentaleuropäischer Hersteller stark vertreten, wobei es sich oft um Fahrzeuge abseits der üblichen Prestigemarken handelt. Ein besonders gutes Beispiel dafür war ein völlig unberührter Peugeot 402, der eingemauert in einer Scheune entdeckt worden war. „Das Auto hat dort seit 1938 im Verborgenen geruht und ist keine 3.500 km gelaufen.“ Für uns von der Zeitschrift „The Automobile“ gehören die stromlinienförmigen Limousinen aus Socheaux seit jeher zu den Favoriten und wir hätten Geoffrey Crabtrees herrlichen Scheunenfund gern selbst entdeckt.

Zwar holt Geoffrey Crabtree diese verloren geglaubten Schätze nicht persönlich aus ihren Verstecken. Allerdings kennt er die Versuchung, bei seinen Reisen im ländlichen Frankreich an jede Tür zu klopfen und nach dem Inhalt der Scheune zu fragen. In Frankreich stehen auf dem Land überall verfallene Nebengebäude herum – „Ganz anders als in England, wo längst jede Scheune in ein Wohnhaus umgebaut worden ist.“ – und in vielen davon befinden sich vergessene Fahrzeuge. Zwar dürften die Zeiten vorbei sein, als man längst aufgegebene Bugattis finden konnte. Aber es gibt noch hunderte von Peugeots, Citroens, Amilcars und ähnliche Autos aus der Vorkriegszeit, die irgendwo gehortet werden und auf ihre Entdeckung warten. Am erfolgversprechendsten ist es, französische Internetseiten zu durchstöbern, wo fast täglich neu entdeckte Fahrzeuge inseriert werden. Britischen Enthusiasten ist häufig gar nicht bewusst, welches Angebot an Autos auf dem Kontinent zu finden ist. Geoffrey Crabtree hat inzwischen rund 50 Wagen auf diese Weise importiert, die allesamt unrestauriert waren.
Zusammen mit einem angestellten Techniker überarbeitet er die Mechanik jedes Fahrzeugs, nimmt sie nach ihrer langen Standzeit schonend wieder in Betrieb und bereitet sie auf ein neues Leben auf der Straße vor.

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Allerdings gelangt er nicht an alle Fahrzeuge in seinem Angebot auf diese Weise. Geoffrey Crabtrees Leidenschaft galt schon immer den Autos aus der Zeit kurz vor dem Zweiten Weltkrieg, doch fühlt er sich zunehmend vom besonderen Charme der „Edwardians“ 3) angezogen. Wagen aus dieser Ära im Originalzustand zu finden, ist natürlich schwierig, und man muss jede Gelegenheit dazu am Schopf ergreifen. Das galt auch für seinen jüngsten Kauf auf einer Auktion in Frankreich, wo er einen höchst ungewöhnlichen Clément-Bayard AC2 Phaeton erwarb, der seit 1956 einem Mitglied der Familie Clément-Bayard gehörte und sich in bemerkenswert gutem Zustand befand. Der Wagen ist einschließlich des Lacks und des Großteils der Polsterung original. Derzeit wird er für den Verkauf vorbereitet und dürfte für einiges Aufsehen sorgen, wenn er wieder auf die Straße kommt.

Der Clément-Bayard steht derzeit neben Geoffrey Crabtrees eigenem Léon Bollée von 1909. Dabei handelt es sich um einen weiteren seltenen Überlebenden aus der Zeit vor dem Ersten Weltkrieg, an dem außer routinemäßiger Wartung nie etwas gemacht worden ist. Geoffrey Crabtree benutzt das Fahrzeug regelmäßig und hat nicht vor, ihn zu verkaufen. Allerdings verläuft die Trennlinie zwischen seiner eigenen Sammlung und seinem Angebot nicht immer ganz eindeutig.

Geoffrey Crabtree ist ein warmherziger und entgegenkommender Gastgeber, der vor Begeisterung für seine Fahrzeuge sprudelt, seien es frühere oder aktuelle. Er hat nicht den Anspruch, ein Experte für eine spezielle Marke zu sein und kauft Autos einfach, weil sie ihm gefallen. Es mag nicht gerade ein besonders naheliegendes Geschäftsmodell sein, eher unbekannte Fahrzeuge vorzuziehen, doch wo sonst findet man in England eine Berliet Limousine von 1930 in Patina-Zustand oder einen sorgfältig konservierten Donnet? Dabei befinden sich keineswegs nur französische Raritäten in Geoffrey Crabtrees Angebot. Dank seiner Leidenschaft für unterschätzte britische Qualitätsautos ist bereits eine ganze Reihe von Limousinen der Marken AC, Jensen, Lea-Francis und Alvis durch seine Hände gegangen.

Fußnoten:
1) Vom Klassizismus geprägte Zeit der Regentschaft der englischen Könige George I bis George IV (1714 bis 1830).
2) In rund 45 Minuten von Dover über die M20 erreichbar.
3) Fahrzeuge aus der Zeit von 1905 bis zum Beginn des Ersten Weltkriegs, benannt nach der Regentschaft des englischen Königs Edward VII (1901-1910).

Übersetzung des Beitrags in „The Automobile“, Januar 2015, Seite 27
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Übersetzung: Michael Schlenger