Offensichtlich macht das Alter noch allein keinen Oldtimer aus. Das Hobby und die Faszination begann bei einigen Menschen bereits in den 70er Jahren. Nach Ansicht unseres Gastautors, Michael Schlenger, sind es gestalterische, praktische und sinnliche Aspekte, die ein Fahrzeug zum Oldtimer werden lassen.
Die Stärken der klassischen Fahrzeuge zeigen auch deutlich die Schwächen moderner Wagen ab etwa 1980. Greift man einige technische Details aus dem Beitrag Technische Merkmale eines Oldtimers heraus, zum Beispiel die 12V-Elektrik und ein synchronisiertes Getriebe, so sind das beides noch keine Kriterien, um zu sagen, es ist kein Oldtimer. Der Peugeot 202 hatte im Jahr 1949 bereits beide fortschrittlichen Techniken an Bord!
Eher sollte man auf Punkte achten, an denen die Entwicklung einem sichtbar wurde, alte und lange bewährte Traditionen gekappt wurden. Ein gutes Beispiel ist dabei die heute praktisch unzugängliche und nicht reparable Elektronik an Stelle der zerlegbaren und reparierbaren elektromechanischen Bauteile. Heute dominieren Gestaltung und Einbau von fertigen Modulen wie zum Beispiel Frontschürzen mit integrierten Stoßfängern und kompletter Scheinwerfer statt separater Anbauteile. Heute herrscht globale Standardisierung vor statt lokaler Besonderheiten. Erinnert sei an die typischen französischen, britischen, italienischen, deutschen oder amerikanischen Fahrzeuge mit ihren landestypischen Eigenheiten, Vor- und Nachteilen und ab Fabrik durchaus unterschiedlichen Qualitätsstandards.
Heute steht im Vordergrund das Primat der Funktion. Keine Marktlücke gegenüber dem Wettbewerb darf ausgelassen werden, Abschottung vor äußerlichen Einflüssen Dritter herrscht vor, Uniformität und damit zwangsläufig Verwechselbarkeit der Fahrzeuge. Diese Gedanken lassen sich auch sehr gut in Stichworten unter den Bereichen Gestaltung, Praktikabilität und Sinnlichkeit zusammenfassen:
Gestalterische Aspekte
- Nationale Besonderheiten – ital., frz. dt., amerik. Autotypen
- Zeittypischer Stil – Kutschenform, ausgeprägte Kotflügel, separate große Scheinwerfer, Stromlinie, Heckflossen, Pontonform, Trapezform
- Vielfalt – Definition und Interpretation von Moden durch hunderte Marken
- Prestige und Außenwirkung – Stil oft wichtiger als Funktion
- Gesellschaftsbezug – Chauffeurwagen, hoher Innenraum (Hutträger), Bootsheck, Woodies, Shooting Break
- Individualität – Sonderkarosserien, Mehrfarblackierungen, Specials
- Charakter – Mut zu eigenwilligen Lösungen, „Gesicht“
- Aufbau aus separaten Elementen – Stoßstangen, Blinker, Türgriffe…
Das Resultat ist ausgeprägte Identität und jede Marke hatte ihr Gesicht und Profil.
Praktische Aspekte
- Zugänglichkeit – z.B. Birnen von Scheinwerfern und Instrumenten, Motoraggregate
- Zerlegbarkeit – z.B. Blinker, Regler, Tachometer, Innenverkleidung
- Einstellbarkeit – z.B. Vergaser, Verteiler, Hupe
- Reparierbarkeit – z.B. Lichtmaschinen, Instrumente
- Reproduzierbarkeit – z.B. Elektrikteile
- Verständlichkeit – intuitive Demontage vieler Bauteile
- Handwerklichkeit (traditionelle Techniken: Spengler, Sattler, Verchromer, Lackierer)
Das Resultat ist bei regelmäßiger Pflege Erlernbarkeit, Dauerhaftigkeit und bis heute Wertbeständigkeit.
Sinnliche Aspekte
- Geräusche – Motor (Luftfilter, Ventile, Ketten), Getriebe (gerade verzahnt), Auspuff
- Gerüche – Öl und Benzin, Leder, Holz, Stoff, Natur
- Vibrationen – im Lenkrad, in der Schaltung
- Straßenkontakt – Spürbarkeit der Fahrbahnbeschaffenheit, Gefühl für Haftung
- Empfindlichkeit der Technik gegenüber Luftdruck und Feuchtigkeit
- Erleben von Wind, Regen und Sonne
Das Resultat zeigt sich in der Intensität des Erlebens.