Impressionen vom Teilemarkt im elsässischen Lipsheim

Bei französischen Klassikern denken die meisten Oldtimerfreunde hierzulande an legendäre Fahrzeuge wie Traction Avant („Gangsterlimousine“), DS („die Göttin“) und 2CV („Ente“) von Citroen oder auch an den 4CV („Cremeschnittchen“) und den R4 von Renault. Diese Fahrzeuge haben in Deutschland bereits zu einer Zeit Kultstatus unter Individualisten erlangt, als von einer eigentlichen Oldtimerszene noch wenig zu sehen war.

Fiat 514  in Lipsheim
Fiat 514 in Lipsheim © Fotoquelle und Bildrechte: Michael Schlenger

Vergessene französische Marken

Weitgehend vergessen sind dagegen die zahlreichen französischen Modelle, die einst als brave Familienkutschen auch diesseits des Rheins Dienst taten, wie etwa der Renault R16 mit seiner praktischen Heckklappe oder der nahezu unzerstörbare Peugeot 404. Nie wirklich ins Bewusstsein gelangt sind hierzulande dagegen skurrile Mobile wie die AMI6 („La Missis“) von Citroen oder die technisch eigenwilligen Wagen von Panhard.

Noch düsterer sieht es aus, was den Bekanntheitsgrad französischer Vorkriegsmarken und Motorräder angeht. Das ist schade, denn gerade hier findet der Enthusiast eine begeisternde Vielfalt an Marken, Modellen, technischen und gestalterischen Lösungen.

Teilemarkt Lipsheim im Elsass

Eine ideale Gelegenheit, um Erinnerungen an einst auch bei uns verbreitete französische Automobile aufzufrischen und unzählige neue Entdeckungen zu machen, ist der jährlich im September im elsässischen Lipsheim stattfindende Teile- und Fahrzeugmarkt www.voitureancienne.org. In weniger als zweieinhalb Stunden gelangt man aus dem Rhein-Main-Gebiet dorthin, am besten auf der linksrheinischen Route, die landschaftlich reizvoller und weniger befahren ist als die A5.

Das beschauliche Lipsheim liegt kurz hinter Straßburg und lässt auf den ersten Blick kaum etwas davon ahnen, dass sich hier seit über 30 Jahren Liebhaber französischer Automobilkultur aus ganz Europa treffen. Das Veranstaltungsareal liegt idyllisch am Ortsrand zwischen hohen Bäumen und Feldern. Die ländliche Umgebung spiegelt sich in der entspannten Stimmung der Anbieter und Besucher wieder, und auch ein nach Gewitterregen aufgeweichter Boden vermag dem Vergnügen keinen Abbruch zu tun, zwischen den durchweg ansprechend gestalteten Ständen umherzuschlendern. Wer vorhat, sich alles genau anzusehen, muss dafür sechs bis acht Stunden veranschlagen, obwohl der Markt keineswegs so erschlagend groß ist wie etwa die Veterama.

Zwar sind auch einige Händler mit Teilen für deutsche Fahrzeuge vertreten, aber der Schwerpunkt liegt doch auf den französischen Marken. Dabei kommen Auto- und Motorradliebhaber gleichermaßen auf ihre Kosten. Für den deutschen Besucher eine Offenbarung ist die Konfrontation mit längst verblichenen und oft kaum bekannten Wagenmarken wie Amilcar, Facel Vega, Hotchkiss, Rally oder Talbot. Auch im Hinblick auf etablierte Hersteller wie Peugeot oder Renault bekommt man vor Augen geführt, wie reichhaltig und reizvoll das französische Fahrzeugangebot noch bis in die 1970er Jahre war, man hat es oft bloß vergessen.

Historische Fahrräder und Motorräder

Noch mehr zu entdecken gibt es bei den Zweirädern. Klangvolle Namen wie Koehler-Escoffier, Monet-Goyon und Gnome-Rhone oder auch die belgischen FN, Gillet und Sarolea sind zahlreich und oft mit schweren Maschinen vertreten.

Das Beste dabei: Die Motorräder sind sehr oft in einem wunderbar patinierten und kompletten Zustand. In Frankreich ist – wie England auch – von jeher die Philosophie verbreitet, dass alte Gegenstände durchaus die Zeichen der Zeit tragen dürfen und daraus eine ganz eigene Würde beziehen. Die Begegnung mit diesen herrlichen Zeitzeugen weckt das Bewusstsein dafür, dass man mit einer behutsamen technischen Instandsetzung original erhaltener historischer Fahrzeuge etwas Einzigartiges bewahrt, während eine radikale „Restaurierung“ bei solchen Exemplaren auf eine Zerstörung hinausläuft.

Restaurierungsobjekte

Bei den angebotenen Autos sind freilich auch echte Restaurierungsobjekte im Angebot, die unter jahrzehntelanger Lagerung gelitten haben und oft unvollständig sind. Dabei finden sich immer wieder seltene Fahrzeuge für überschaubare Beträge, deren Wiederherstellung freilich einen langen Atem benötigt. Auffallend ist hier die oft liebevolle Präsentation solcher „Baustellen“ inmitten von Ersatzteilen und Accessoires. Hier bieten sich für den Flaneur immer wieder reizvolle Stillleben, deren Betrachtung allein schon Freude bereitet.

Automobilia in Lipsheim

Ein weiterer Grund dafür, dass man nur langsam vorwärts kommt, ist die enorme Auswahl an reizvollem Zubehör wie Werkzeug, Werbung, Broschüren, Anleitungen, Fotos und Modellen. Vermutlich könnte man allein mit dem Angebot in Lipsheim ein ganzes Museum mit Automobilia bestücken. Da gibt es schwere geschmiedete Schraubenschlüssel von altehrwürdigen Herstellern, Öl- und Benzinkanister in zahllosen Formen und Größen, dekorative antike Feuerlöscher, selbst Zapfsäulen und mobile Abschmiervorrichtungen in Tankstellenausführung. Auch wer originale Neuware sucht, etwa Unterbrecherkontakte, Verteilerkappen oder Zündkerzen aus der Vorkriegszeit, kann mit etwas Geduld reiche Beute machen. Das Angebot ist meist gut sortiert und die Preise angemessen. Mit etwas Französisch und Freundlichkeit hat man auch Erfolg beim Handeln.

Und selbst wenn man gar nichts gezielt sucht, wird man mit Sicherheit etwas entdecken, was man nicht braucht, aber unbedingt haben muss. Im Fall des Verfassers dieses Beitrags war es ein Bündel originaler und unbenutzter Ölwechsel- und Abschmieretiketten aus den 1950er Jahren, die das i-Tüpfelchen im Motorraum eines zeitgenössischen Fahrzeugs sind.

Zu guter Letzt noch ein Hinweis: Der Besuch auf dem Teile- und Fahrzeugmarkt in Lipsheim lässt sich wunderbar mit einem Kurzurlaub an der elsässischen Weinstraße verbinden.

Text und Fotos: Michael Schlenger