Die Benz „Prinz-Heinrich“-Fahrzeuge aus dem Jahr 1910

Die beiden einzigen überlebenden Benz-Tourenwagen der damaligen „Prinz Heinrich-Fahrt“ waren technisch ihrer Zeit weit voraus.

Die „Prinz-Heinrich-Fahrt“ ist eine berühmte Motorsportveranstaltung in Deutschland zu Beginn des vergangenen Jahrhunderts. An der Veranstaltung des Jahres 1910 nimmt Benz & Cie. mit zehn Tourenwagen teil. Nur zwei davon haben überlebten. Sie werden im Jahr 2013 nach ihrer aufwendigen Restaurierung erneut der Öffentlichkeit präsentiert.

Alle zehn Fahrzeuge, die Benz eigens für die „Prinz-Heinrich“-Fahrt entwickelt, sind mit neu konstruierten besonders leistungsfähigen Motoren in unterschiedlichen Hubraum- und Leistungsklassen ausgerüstet. Deren besonderes Merkmal sind je zwei Einlass- und Auslassventile, gesteuert durch zwei unten liegende Nockenwellen, Stößel und Kipphebel. Es waren die ersten Vierventilmotoren in der Geschichte der heutigen Daimler AG. Die Kraft wird über einen Kardanantrieb zur Hinterachse geleitet, damals noch keine Selbstverständlichkeit. Charakteristisch für die Fahrzeuge sind die aerodynamisch optimierten Karosserien mit ihrem in eine Rundspitze auslaufendem Heck.

Prinz Heinrich Wettbewerbswagen Baujahr 1910
Prinz Heinrich Wettbewerbswagen Baujahr 1910 Quelle: Automuseum Central Garage Bad Homburg

Die beiden überlebenden Fahrzeuge der „Prinz-Heinrich“-Fahrt des Jahres 1910 haben Vierzylindermotoren, die aus einem Hubraum von 5.715 Kubikzentimetern eine Leistung von 80 PS (59 kW) schöpfen. Das Fahrzeug mit der Startnummer 36 pilotierte Fritz Erle, der den fünften Platz belegte. Es gehört heute dem Louwman Museum in Den Haag/Niederlande. Das Fahrzeug mit der Startnummer 38 fuhr Carl Neumaier auf den 11. Platz. Es gehört heute in die Sammlung von Mercedes-Benz Classic.

Beide Automobile nahmen nur wenige Wochen nach der „Prinz-Heinrich“-Fahrt auch an der „Zar-Nikolaus“-Tourenfahrt in Russland teil. Das erste mit der ursprünglichen Startnummer 36 pilotierte Arthur Henney. Das zweite mit der ursprünglichen Startnummer 38 lässt der Benz-Ingenieur und -Rennfahrer Fritz Erle für seine eigene Teilnahme mit einem langhubigeren Motor mit einem Bohrungs-Hub-Verhältnis von 100 x 175 Millimeter, statt 105 x 165 Millimeter) und somit einem Hubraum von 5.498 Kubikzentimeter ausrüsten.

Zwischen diesem letzten Werksauftritt im Jahr 1910 in Russland und dem Wiedererscheinen in der Öffentlichkeit im Jahr 2013 erleben die Fahrzeuge eine wechselvolle Geschichte. Den heute dem Louwman Museum gehörenden Benz 22/80 PS kauft 1911 ein Mr. Craig in London. Dabei muss Benz, so ist es überliefert, dem neuen Käufer zusichern, dass das Fahrzeug imstande ist, die damals magische Geschwindigkeitsgrenze von 100 Meilen pro Stunde, rund 160 km/h, zu erreichen. Offensichtlich sind dafür einige Modifikationen notwendig, zu denen auch eine Abänderung der legendären Karosserie der „Prinz-Heinrich“-Wagen mit ihren vier Sitzen und dem typischen Heck gehört. Craig stammte aus einer vermögenden australischen Familie, die in London lebt. Er hat Motorsportambitionen, umgesetzt von seinem Fahrer George Wilkinson. Wilkinson erreicht auf der englischen Brooklands-Bahn mit dem Benz auch tatsächlich die 100-Meilen-Marke, verliert dann aber das zusätzlich zwischen seinem Rücken und der Sitzlehne gesteckte Kissen und ist, mangels Abstützung, nicht mehr in der Lage, die erforderliche Bremskraft aufzubringen. Er schießt über die Fahrbahnbegrenzung hinaus und wird mit schweren Verletzungen samt stark beschädigtem Auto 50 Meter hinter der Böschung aufgefunden. Benz repariert das Fahrzeug in Mannheim für die immense Summe von mehr als 20.000 Mark. Craig nimmt es noch vor dem Ersten Weltkrieg nach Australien mit, als er zurück in seine Heimat übersiedelt.

Nach dem Zweiten Weltkrieg erwirbt es dort der Automobilhistoriker David Scott-Moncrieff. Einige technische Modifikationen werden vorgenommen. So erhält es hydraulische Vierradbremsen. Die Drahtspeichenräder mit Rudge-Verschlüssen hatten bereits vor dem Verkauf an Craig die ursprünglichen Artilleriespeichenräder aus Holz ersetzt. Ebenfalls in Australien übernimmt dann der bekannte Sammler und Restaurator Alan (Bob) Chamberlain im Jahr 1945 das Fahrzeug. Ende der 1990er-Jahre kauft es ein Sammler in den Niederlanden, bevor es dort schließlich in den Besitz des Louwman Museums wechselt.

Den Benz 21/80 PS, der heute zur Sammlung von Mercedes-Benz Classic gehört, erwirbt Ende Mai 1911 zunächst das Unternehmen Milfords in London. Dort kauft ihn dann G. L. Syme aus Melbourne. Syme gehört der Gründerfamilie der renommierten australischen Zeitung „The Age“ an und nimmt das Fahrzeug mit auf den fünften Kontinent. Dort wird es bekannt als „Syme’s big Benz“, gefahren nicht vom Besitzer Syme selbst, sondern von dessen Chauffeur und Mechaniker George McCarey. Gegenüber dem Urzustand wird das Fahrzeug erheblich verändert. So ersetzen Stahlspeichenräder mit Rudge-Verschlüssen die ursprünglichen Artilleriespeichenräder. Außerdem wird die Auspuffanlage nach außen verlegt. Mit Symes Fahrzeug ist McCarey in Australien erfolgreich: Er gewinnt zahlreiche Trophäen für seinen Besitzer und fährt unter anderem 1913 die Tagesbestzeit beim „Wildwood Hill Climb“ in Victoria.

Im Jahr 1945 kauft Bob Chamberlain auch dieses Fahrzeug und restauriert es von Grund auf. Er nimmt dabei einige Änderungen vor, um es dem Originalzustand wieder näher zubringen. In diesem Zustand erwirbt Mercedes-Benz Classic es Ende der 90er Jahre. Beide Fahrzeuge wurden in ihren originalen Zustand versetzt und erstrahlen in dunkelgrüner Lackierung. Zeitgleich wurden damit zwei Zeitzeugen aus den Ursprungstagen des Automobils wieder sichtbar und fahrbar.