Der Charme einer Total-Restaurierung

Jedes Auto mutiert vom Jahreswagen zum Gebrauchtwagen. Hat das Auto etwas Glück und wird in einer trockenen, gut durchlüfteten Garage untergestellt, genießt regelmäßige Wartung und pfleglichen Umgang möglichst weniger Besitzer, hat das Auto alle Chancen in würde mit Patina alt zu werden. Omas oder Opas Liebling haben längerfristig gute Überlebenschancen, sofern sie nicht mit Blechschäden oder in Verwahrlosung enden. Nach meinen Erfahrungen haben diese alten Gebrauchtwagen für das heutige Empfinden oft eigenartige Farben im Innenraum und Lackierung. Wurden diese Fahrzeuge als Neuwagen mit Rabatten vom Händler abgegeben?

Jüngere Autos aus den 70er und 80er Jahren hatten teilweise schlechte Rostvorsorge und es wurden minderwertige Bleche mit hohem Kupferanteil verbaut. Erst Ende der 80er Jahre wurde die Rostvorsorge durch verzinktes Blech besser. Im Innenraum wurde viel Plastikmaterial eingebaut, was heute nach mindestens 30 Jahren spröde und rissig ist. Hat der Wagen viel in der Sonne gestanden, sind die Farben der Innenausstattung auch verblasst. Besonders die unschönen Kunstledersitzbezüge sind brüchig und nicht mehr für die Zukunft zu retten. Manche Sitzbezüge lösen sich durch das Alter bedingt, langsam auf. Die Beschädigungen eines Sitzes kann man mit den damals üblichen Autofellen zu decken und dabei die historische Substanz erhalten. Auch die Seitenverkleidungen und manche Armaturenbretter sehen nicht mehr schön aus. Es bedarf der behutsamen Pflege, um den Verfallsprozess des Liebhaberfahrzeuges zu stoppen und originale Substanz zu erhalten.

Damals gab es bereits hochpreisige Autos, deren Hersteller in Art und Güte beständigere Materialien bei der Produktion verwendet haben. Nicht umsonst sind heute Klassiker der Marke Mercedes bis hin zum Youngtimer Modell W124, dem letzten echten Mercedes, so beliebt.

Ein Beispiel eines in der Substanz unberührten Autos zeigt einen Peugeot 203 aus dem Jahre 1956:

Peugeot 203 Baujahr 1956 mit Patina der Jahre

 

Die heute bekannte Exaktheit der Produktion eines Automobils war damals noch unbekannt. Die Spaltmasse an einem Auto und in der Serie streuten beträchtlich. Nicht nur englische Fahrzeuge waren davon betroffen!

Geht man Dekaden in der Produktion von Autos zurück, dürfte der Verfall der Substanz eines heute historischen Autos und dessen verwendete Materialien noch größer sein. Nun das Interesse an alten Autos, besonders bekannter Typen, ist groß. Ob es an der Historie, Erfüllung eines Jugendtraums oder andere Gründe sind, sei dabei ohne Belang.

Eine Komplett-Restaurierung, egal welcher Hersteller oder Typ, ist aufwendig und vorher nicht exakt kalkulierbar. Erst nach der Zerlegung kommen die Karosserieschäden ungeschminkt zum Vorschein. Weitere Überrachungen folgen beim Zusammenbau des Puzzles. Bei Vorkriegs-Veteranen muss der Stellmacher auch für stabilen Karosseriebau sorgen. Viele Bleche, Innenausstattung und technische Teile müssen neu gefertigt oder aufgearbeitet werden.

Mercedes Benz 170S Cabrio Baujahr 1951

 

Der Erwerber solch eines Fahrzeuges bekommt im Prinzip, bei guter Arbeit, ein Fahrzeug mit dem heute möglichen Fertigungsstand bezüglich Materialien und Ausführung. Farben, Stoffe, Leder oder Teppichmaterialien entsprechen aktuellem Standard. Aus meiner Sicht bleibt bei solch aufwendiger Restaurierung lediglich das historische Erscheinungsbild des Klassikers erhalten. So ein Fahrzeug, besser als Werksneuzustand, wird dann als neue und perfekt gelungene Restaurierung, frisch restauriert oder mit Total-Restaurierung in der Werbung angepriesen.

Mercedes Benz 170S Cabrio Baujahr 1951 Armaturenbrett

 

Aus meiner Sicht sind Klassiker mit vorgenannten Eigenschaften und perfekten Spaltmaßen eher als Nachbauten von Originalen zu bezeichnen. Ganz schlimm finde ich es, wenn keine originalen Farbkombinationen, wie zum Zeitpunkt der ersten Auslieferung, beim Neuaufbau verwendet wurde.

Es ist sicherlich eine Frage der Einstellung und des Geldes, welchen Maßstab man persönlich an seinen Oldtimer stellt. Schon eigenartig ist es, dass es heute von manchen Modellen mehr geben soll, als je beim damaligen Hersteller in Art und Ausführung produziert wurden. Bestimmte Rahmenteile des Modells wurden für den Neuaufbau verwendet.

Übrigens ist es nach dem deutschen Zulassungsrecht gleichgültig was und wie restauriert wurde. Die Regelung für das H-Kennzeichen fordert mindestens den Zustand 3. Das entspricht einem mehrjährigen und gepflegten Gebrauchtwagen.